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Ruhezone oder: Wo ist das Grüezi geblieben?


Wieder einmal befinde ich mich in der Schweiz, welche ich seit nun 8 Jahren nur noch sporadisch besuche. Flughafen Kloten, einsteigen in die S2 kurz nach Ladenschluss. Der Zug wird mich ins Stadtzentrum von Zürich und dann nach Pfäffikon bringen. Ja, der öffentliche Verkehr in der Schweiz darf sich schon sehen lassen. Eindrücklich, was da in 15 Minuten alles an Zügen  auf den 4 Geleisen des Flughafenbahnhofs anhält und wieder abfährt.  Dann gibt es noch Abteile auf Fernzügen, welche speziell mit Ruhezone gezeichnet sind.. An alles ist gedacht.

Mein Zug bringt mich in 10 Minuten in den Hauptbahnhof Zürich, wo sich die Abteile leeren und natürlich gleich wieder neu belegt werden. Es entsteht ein interessantes „Lademuster“.  Zuerst schnappt sich mal jeder Passagier einen Platz in einem leeren Viererabteil. Anschliessend erfolgt die Diagonalvariante, also sich nicht gegenüber dem bereits sitzenden Fahrgast platzieren, sondern gegenüber dem leeren Platz neben dem Fahrgast. So, damit ist das Viererabteil eigentlich gefüllt und man kann es sich bequem machen.

Wer nun zusätzlich Platz einfordert, scheint eher ein Störefried zu sein, jedenfalls lassen Mimik und eher widerwilliges Gerutsche des 50% Viererabteils darauf schliessen. Sollte dann auch noch eine vierte Person dazu kommen, dann war das wohl kein guter Reisetag, unterstelle ich mal.



Ist das die Ruhezone??

Das alles geschieht in gespensterhafter Ruhe. Ich habe auf 35 Minuten Reise keine zehn Sätze gehört. Befinde ich mich denn hier auch in der Ruhezone? Nein. Das gibt es im Nahverkehr nicht.  Mein Nachbar liest in einem Amazon-e-Buch, im 4-er Abteil nebenan streicheln drei Leute ihre Androids oder was auch immer und sind somit mit  sich selbst beschäftigt. Ein Blick um die Ecke in die nächsten Abteile: Dasselbe Bild. Einfahrt in die nächste Haltestelle. Einige nehme ihre Verkabelungen vom Ohr, packen ihre Geräte ein, stehen wortlos auf und verlassen ihr Abteil, andere kommen, setzen sich wortlos hin und installieren sich in ihre virtuelle Umwelt.

Auch „meine“ beiden Mitfahrer verlassen mich an verschiedenen Stationen und reagieren auf mein „auf Wiedersehen“ leicht verunsichert, schieben aber noch schnell ein „en schöne Aabig“ hinterher. Einem neuen Fahrgast sage ich  „Grüezi“. Verlegen murmelt er auch einen Gruss, kabelt sich an, loggt sich ein und das Schweigen geht weiter.

Irgendwie gespenstisch das alles. Zug fahren war mal eine Gelegenheit, neue Leute, wenn auch nur kurz, kennenzulernen. Noch heute finde ich das spannend und kann so eigentlich von jeder Busreise in der Türkei mit neuen Bekannten „und wenn du mal in unsere Gegend kommst, erwarten wird dich auf Besuch“ aufwarten.  Inzwischen ist dieses Transportmittel offenbar dazu da, menschliche Behältnisse, welche irgendwo an irgendwas angedockt sind, von A nach B zu tranportieren. Das wirkt irgendwie so, wie wenn ein Patien aus der Intensivstation A in die Intesiv B verlegt wird..

 Sind das wohl die Exemplare, von denen ich dann so unheimlich wichtige Meldungen wie „die S 2 hat schon wieder drei Minuten Verspätung“ (gepostet via handy) auf facebook oder Google+ nachlese und mich frage, was der Grund sein könnte, eine derartige Bagatelle der Allgemeinheit mitzuteilen, da ich mich ja nicht in einer S2-Verspätungsmeldungsgruppe befinde…

Kontrast:
Sonntagnachmittag, herrliches Wetter. Ich schiebe meinen Vater im Rollstuhl durch eine tolle Gegend entlang des Zürichsees. Viele Spaziergänger, junge Familien, ältere Ehepaare, auch frisch Verliebte, flanieren auf diesem Gehweg.  Liegt es nun an der Konstellation „schwer Behinderter alter Mann wird im Rollstuhl spazieren gefahren?“, oder am tollen Wetter, oder an der Persönlichkeit der Menschen, welche da spazieren,  dass eigentlich jede Begegnung  ein „Grüezi“ mit sich bringt? Mehr nicht, aber dieser Gruss ist da, gegenseitig. Je nach Tonlage eine Pflicht, Mitleid oder Ausdruck von Freude über den schönen Sonntagnachmittag. All das in einem Wort.  Probier das mal mit einem iPhone!

Alter Zopf? Vielleicht. Allerdings ist mir an diesem Nachmittag noch etwas bewusst geworden. Dieser Gruss bedeutet auch, dass ich wahr genommen werde. Ich bin wer und werde gegrüsst. Was für ein Unterschied zum Zug vor zwei Tagen. Da ist man insofern vorhanden, als das Gegenüber die Beine nicht so ausstrecken kann, wie es gerne möchte, ansonsten existiert man nicht, wurde man auch nicht wahr genommen, denn störend waren ja nur die Beine…

Wenn es aber so weit kommt, dass der einzige Bezugspunkt noch mein tablet oder mein inzwischen zur Kommunikationsplattform aufgemotztes Handy wird, dann ist wohl die Grundlage dafür geschaffen, dass das Gegenüber ohnmächtig vom Sitz rutschen kann, im Abteil dahinter jemand zusammengedroschen wird und dies bestenfalls noch über twitter ins Netz kommuniziert wird. Viel mehr ist da wohl nicht zu erwarten.

Der grosse Vorteil dieser Technologie: Die Bundesbahnen können sich künftig die Schaffung von Ruhezonen sparen. Der ganze Zug ist akustische Ruhezone.

Kommentare

  1. Walter es wird so sein dass man noch schnell ein Bild knipst von der angegriffenen Person um zu beweisen dass man dabei war. Aber nur mit genuegend Abstand und ums himmels Willen ja nicht eingreifen. Nichts sagen - der Angreifer koennte ja......
    Im 20 min. Habe ich gelesen dassdie SBB Leute welche den Platz neben sich mit Taschen und Rucksaecken belegt, buessen will wenn sie nicht das gepaeck von den Sitzen nehmen. Bloss wer will das ausfuehren. Die Zugbegleiter sind ja jetzt schon unglaublichen Anfeindungen ausgesetzt.

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