Keine Angst, sie werden hier nicht personalisiert auftreten. In der Politik wäre das zu einfach, zu platt. Der Teufel setzt sich aus verschiedenen Faktoren, einem Spannungsfeld zusammen und entfaltet so seine verheerende Wirkung. Zu verfolgen ist dies an diesem Wochenende, wenn Frau Merkel, politisch arg gebeutelt, in der Türkei den großen Befreiungsschlag versucht.
Sie geht da nicht hin als Privatperson, sondern ausgestattet mit einer Vollmacht der EU und schon befinden wir uns mittendrin im teuflischen Konstrukt:
- Eine EU, stark geprägt und immer wieder gefordert von Deutschland, welche sich generell darüber einig ist, dass man sich NICHT einig ist.
- Eine EU, welche seit 9 Monaten angesichts steigender Flüchtlingszahlen NICHT über das Stadium von Bürositzungen hinauskommt und sich jedes Mitgliedsland dahingehend einbringt, dass dieser Kelch doch an ihm vorübergehen möge. Ausnahme drei oder vier Länder, darunter auch Deutschland.
- Die Erkenntnis, dass die Türkei (seit wann eigentlich schon ?) die im Lande lebenden Flüchtlinge nahezu ungehindert ausreisen lässt.
- Der Versuch, das Land in die Pflicht zu nehmen, wozu man auch bereit wäre, eine Milliarde € locker zu machen. Guter Vorschlag, da das wirtschaftlich geschüttelte Land derzeit monatlich etwa 10 Mia. Dollar Devisenreserven in die Stützung der türkischen Währung buttert, um den über 30%-igen Währungsverlust der vergangenen 9 Monate zumindest zu stoppen. Das Geld kann gut gebraucht werden.
- Nur wären die türkischen Verantwortlichen schlechte Händler, wenn sie sich nicht auf den Standpunkt setzen:"Da ist aber noch viel Luft nach oben."
- Also 3 Mia €. Und schauschau, gestern Nacht Sondersitzung in der EU. Auch darüber kann man sprechen, offenbar abgesegnet. (Nur dürfte noch Klärungsbedarf darüber auftauchen, dass es sich hierbei um keine Einmalzahlung, sondern um den Beginn einer halbjährlich wiederkehrenden Summe handeln müsse)
- Ebenfalls "Möglichkeit" der Visafreiheit. (Wo dann Erdogan wissen will, für welche Länder, denn nur Deutschland ist ein bisschen wenig, und bis wann. Verbindlicher Termin. Das interessiert ihn nämlich wirklich. ..und diesbezüglich will er Klarheit noch vor den kommenden Wahlen!)
- Weiter angekündigt: Intensivierung der Verhandlungen in Sachen EU-Vollmitgliedschaft. (Da spielt es keine Rolle, dass sich derzeit KEIN EU-Land die Türkei in absehbarer Zeit als Vollmitglied vorstellen kann. Das regelt man dann sprachlich später...)
- Der Verhandlungspartner Erdogan, der laut Verfassung nur repräsentative Pflichten hat, aber angesichts der derzeitigen Lage das derzeitige Parlament und Kabinett im Tiefkühlraum belässt, interessiert sich nicht mehr sonderlich für die EU. Aber ein Wort möchte er schon. Zum Beispiel - bis 2023. "DAS WORT" zählt in der Türkei sehr viel. Wer sein Wort nicht hält, ist unten durch. Damit kann man innenpolitisch Stimmung machen. Das kennen wir schon. 2023 wäre für die Türkei ein tolles Datum und in der EU ist es eine neue Generation Politiker, welche da schauen muss, wie man klar kommt.
- Und das alles jetzt ganz schnell, meint Frau Merkel. Nachdem die EU monatelang ergebnislos getändelt hat, kommt die Kanzlerin in Deutschland hyperdynamisch unter Druck. Dieser ist so groß, dass diese Verhandlungen NICHT ab Mitte November geführt werden können. Dann wären die türkischen Wahlen vorbei und man kennt die neuen Machtverhältnisse. Geht nicht, zu viel könnte bei der Kanzlerin bachab gehen. Alternativlos, der Besuch muss sein.
- Dafür nimmt sie in Kauf, dass die Ergebnisse dieses Wochenende - und seien es nur Teilergebnisse - direkt in Erdogans Wahlkampf einfließen (den er eigentlich gar nicht führen dürfte). Eine Parlamentswahl in der Türkei, welche also direkt durch die deutsche Bundeskanzlerin beeinflusst wird! Viele Türken werden das als nicht korrekte Einflussnahme werten. Da halten sie Gegenrecht mit den Deutschen, welche jeweils Erdogans Auftritte in Deutschland kritisieren.
Erdogan denkt vor, EU hinkt hintennach, Merkel spielt mit
Damit die Kanzlerin wirklich merkt, was auf sie zukommt, hier der 6-Punkteplan der Türkei. Dies die Infos an die Öffentlichkeit :
- Visafreiheit: Diese wurde 2013 bereits festgelegt, ohne Rücktrittsklausel und wird 2017 in Kraft treten. (Merkel merke: Darüber wird nicht mehr verhandelt, das gilt es nur noch zu bestätigen.)
- Die von der EU vorgeschlagene Milliarde € ist für die Kosten der gemeinsamen Aktivitäten zur besseren Überwachung der Flüchtlingswege. Für die syrischen Flüchtlinge in der Türkei sind weitere 2,5 Mia nötig.
- Flüchtlingscamps : Weitere Kosten (Errichtung neuer Camps, Betrieb und Verpflegung aller Zeltstädte ) 20% Türkei,80% EU, UNO etc.)
- Frontex Einsatz geschieht im Rahmen der See-Gesetze des Nicht-EU-Landes Türkei und nicht nach griechischem Seerecht.. Aufgegriffen wird die 12-Meilen Zone. ( Hierzu bin ich zu wenig bewandert, aber da liegt ein Streitpunkt zwischen der Türkei und Griechenland)Das kann dann Frau Merkel auf der Rückreise den Griechen verklickern. Grenzverlauf in der Ägäis ist weiterhin umstritten zwischen den beiden Ländern. In der 12-Meilen-Zone liegen wieviele griechische Inseln?) Und was, wenn Griechenland als EU-Mitglied diesen Punkt ablehnt? Überstimmen und EU-Satzung suspendieren?
- Zwei EU-Dossiers, nämlich das Thema Rechtssprechung und Menschenrechte sind zu eröffnen und zu verhandeln.
- Neuverhandlungen zur Situation Zypern (damit meint er EU-Beitritt Nordzyperns). Altlast aus einem früheren Teufelspakt der EU. Und was, wenn Griechenland als EU-Mitglied diesen Punkt ablehnt? Überstimmen und EU-Satzung suspendieren?
Dies die Forderungen, welche dem türkischen Volke derzeit kommuniziert werden. Daran wird Erdogan sein Geschick als Staatsmann im Umgang mit der EU zu beweisen versuchen. Wie es scheint, hat er gute Karten. Der wichtigste Erfolg im Moment: Er wird als Verhandlungsführer anerkannt.
Was würden eigentlich Merkel und Deutschland dazu sagen, wenn sich Gauck in diese Position aufschwingen würde?
Nachtrag: Jeder Geschäftsmann, der in der Türkei schon Partnerschaften eingegangen ist kennt den Begriff hava parası. ("Luft-Geld", im Sinne von Ablöse, oder Geld für gute Dienste) Wer nun eine Partnerschaft auf der Basis 80%-20% eingeht, weiß es schon, oder er wird sich dessen bewusst, dass seine 80% in Wirklichkeit 100% sein werden und die 20% des Partners eine Art buchhalterischer bon service darstellen. Dafür, dass er Partner ist.
Nachtrag: Jeder Geschäftsmann, der in der Türkei schon Partnerschaften eingegangen ist kennt den Begriff hava parası. ("Luft-Geld", im Sinne von Ablöse, oder Geld für gute Dienste) Wer nun eine Partnerschaft auf der Basis 80%-20% eingeht, weiß es schon, oder er wird sich dessen bewusst, dass seine 80% in Wirklichkeit 100% sein werden und die 20% des Partners eine Art buchhalterischer bon service darstellen. Dafür, dass er Partner ist.
Wie tragfähig ist dieser Plan?
- innerhalb der EU?
- zwischen der EU und der Türkei?
- und die Flüchtlinge in Jordanien, Irak,Libanon? Knapp drei Millionen Menschen!
- Konfliktstoff ohne Ende.
- Unter enormem Zeitdruck über das Knie gebrochen.
- Nicht zu Ende gedacht.
Die noch vorhandenen demokratischen Rechte des türkischen Volkes (freie Wahl eines Parlamentes) werden torpediert, indem ein umstrittener Kandidat (Partei) mit starkem Hang zu absolutistischen Zügen politisch legitimiert wird.. Ein solches System würde sich nie und nimmer mir der EU vertragen.
Aber: Es scheint, für Kanzlerin und EU ist dieser Teufelspakt KEIN Problem.
Für mich persönlich nicht nachvollziehbar.
Für Europa zeitverzögert eine neue Hypothek .. neben allen anderen.....
Aktualisierung:
Erdogan in Zypern am 17.10.2015:
Dazu und was noch alles so verhandelt oder von der EU vage in den Raum geworfen wird, erfuhr man gestern abend in der Frankfurter Rundschau. Auch sehr aufschlussreich.
Erdogan in Zypern am 17.10.2015:
BİZİM DERDİMİZ KIBRIS
Kıbrıslı kardeşlerimizin maruz kaldıkları mağduriyetlerin giderilerek, dünyada hak ettikleri yeri almaları yönündeki çabalarımız yoğun bir şekilde devam ediyor. Bunu, hafta içinde Sayın Obama ile de görüşmemiz oldu, Kıbrıs'ı konuştuk, geçen hafta Brüksel'deki liderlerle Kıbrıs'ı konuştuk, derdimiz Kıbrıs. Quelle aksam gazetesi
Unsere Bemühungen, die Probleme Nordzyperns zu lösen, gehen weiter. Letzte Woche habe ich darüber mit Herrn Obama gesprochen. Ebenfalls letzte Woche haben wir uns mit den europäischen Leadern darüber unterhalten.Dazu und was noch alles so verhandelt oder von der EU vage in den Raum geworfen wird, erfuhr man gestern abend in der Frankfurter Rundschau. Auch sehr aufschlussreich.
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