Es lohnt sich, die Entwicklung in der
türkischen Innenpolitik über die letzten 12 Monate etwas genauer zu
betrachten. In diesem Zeitraum haben sich Dinge abgespielt, welche
mit demokratischer Entwicklung sehr wenig zu tun haben und eigentlich
sowohl bei der Nato wie bei der EU die Alarmglocken schrillen lassen
müsste.
Parlamentswahlen Sommer 2015
Hier ergab sich die Situation, dass die
kurdische Bewegung HDP mit über 13% Stimmenanteil ins Parlament
einzog und dadurch die von der AKP angestrebte 2/3 Mehrheit im
Parlament verhinderte. Noch schlimmer, die AKP war für eine neue
Regierungsbildung auf einen Koalitionspartner angewiesen. Eine solche
Koalitionsmehrheit kam nicht zustande, wobei viele Insider NICHT die
fehlende Verhandlungsbereitschaft als Hauptgrund sahen, sondern die
klare Aussage Erdogans, dass wohl nur Neuwahlen diese Problematik
lösen könnten.
Umgang mit Kurden/PKK
Unmittelbar NACH diesen Wahlen wurde
die türkische Gangart mit den Kurden massiv verschärft. Dabei
handelte es sich um Einsätze in Syrien, gleichzeitig um
Säuberungsaktionen im Südosten der Türkei, welche sich im Laufe
der Monate zu einem eigentlichen Bürgerkrieg entwickelt haben. Bis
heute haben wieder Tausende junger Menschen auf Armee und PKK-Seite,
aber auch viele Zivilisten ihr Leben verloren, sind ganze Stadtteile
ausgebombt und ist weiterhin kein Ende dieser Auseinandersetzungen
abzusehen. Hunderte von Journalisten, welche kritisch über diesen
Konflikt berichteten, sitzen in Untersuchungshaft oder habe Klagen am
Hals, oppositionelle Zeitungen und Fernsehkanäle wurde
zwangsenteignet und mit regierungstreuen Leuten besetzt.
Medial wurde diese Auseinandersetzung
ganz klar als Kampf gegen den Terrorismus etikettiert und täglich
thematisiert. Verschwiegen wurde, dass Hunderttausende von Menschen
ihre Heimat verlassen mussten und auf der Flucht sind.
Neuwahlen November 2015
Unter diesen veränderten
Voraussetzungen fanden die Neuwahlen im September statt. Dabei drehte
sich alles um die Frage, ob die HDP wiederum den Einzug ins Parlament
schaffen würde und nun Erdogan endlich mit einer satten Mehrheit
seine schon lange angestrebte Verfassungsänderung hin zum
Präsidialsystem würde durchsetzen können. Wiederum schaffte die
HDP ganz knapp den Einzug ins Parlament, womit klar war, dass
Erdogans Vorhaben erneut zum Scheitern verurteilt war.
Immerhin, eine Regierung konnte
gebildet werden, Davutoglu wurde Ministerpräsident und die alleinige
Regierungsfähigkeit war hergestellt.
„Terrorismus“ - breit ausgelegt
Seit Sommer 2015 erfasste der Begriff
Terrorismus immer weitere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens in
der Türkei. Kritische Äusserungen von Journalisten und
Meinungsträgern aus Universitäten und Justiz wurden als
„Unterstützung terroristischer Organisationen oder Aktivitäten“
gewertet und hatten Gerichtsverfahren zur Folge. In dieser Thematik
fiel und fällt Erdogan dadurch auf, dass er eigentlich immer
unmittelbar nach solcher Kritik gleich öffentlich verkündet, dass
dies Folgen haben werde. Innert kürzester Zeit liefen die
entsprechenden Verfahren an und falls nicht, sahen sich die
entsprechenden Richter sehr schnell abgesetzt oder versetzt.
Meinungs- und Pressefreiheit sind heute extrem eingeschränkt, was
zusätzlich durch Maulwürfe im In- und Ausland belegt werden kann.
Proteste aus verschiedensten europäischen Ländern waren und sind
die Folge.
Davutoglu – EU: Den Bogen überspannt
Die Flüchtlingsthematik überschattete
das gesamte letzte Jahr und dominiert auch jetzt die politische
Agenda. Das ausgehandelte Flüchtlingsabkommen zwischen der EU (oder
müsste man Frau Merkel sagen?) und der Türkei (oder reduziert sich
dies auf Davutoglu) entsprach offensichtlich NICHT den Vorstellungen
Erdogans. Aus seiner Sicht zu viele Zugeständnisse, auch die
Anerkennung Südzyperns dürfte ihm nicht gepasst haben.
Grundsätzlich aber ist Erdogan offensichtlich der Auffassung, mit
einem solchen Abkommen lasse sich deutlich mehr für die Türkei
heraus holen. Dies zeigen auch seine Äusserungen der letzten drei
Wochen, wo er sich dezidiert auf eine Konfrontationsposition zur EU
zu bewegt.
Somit musste das, was Davutoglu "angerichtet" hatte, korrigiert werden. WIE das passierte in Teil 2.
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