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Türkei Çıralı: Abbruch hat begonnen

Gestern wurde in Çıralı , begleitet von einem massiven Polizeiaufgebot, mit dem Abbruch einer ersten Pension begonnen. Heute sollen drei weitere Betriebe geschleift werden. Obwohl wieder zahlreiche Demonstranten erschienen, blieben deren Bemühungen, diesen Abbruch zu verhindern, erfolglos. Etwa 25 Personen wurden festgenommen. Die Zeitung Hürriyet hat Bilder und ein Video ins Netz gestellt.

Der Landrat der Region hat den Abbruch damit begründet, diese Pensionen befänden sich auf Waldgebiet und seien illegal, weshalb sie abzubrechen seien. Das mag aus heutiger Sicht stimmen, wenn man nur die Momentaufnahme als Richtschnur hinzuzieht. Wie bereits in einem früheren Beitrag berichtet, sind die Sachlage und die Geschichte Çıralıs jedoch bedeutend komplexer. In einem der bisher besten Beiträge zu diesem Thema fragte der Journalist Yusuf Yavuz im Atlas Dergi: Hat das Modell Cirali im Tourismus ausgedient? Er listet da sachlich die Ereignisse seit 1990 auf und fragt nach der Zukunft dieses Ortes, welcher touristisch ja durchaus eine Marke darstellt.

Retourkutsche nach Klage gegen Tourismusprojekt?


Es wird ziemlich offen gehandelt, dass die nun stattfindenden Abbrüche in einem direkten Zusammenhang stehen mit den Protesten vor zwei Monaten, wo  sich örtliche Pensionsbetreiber dagegen gewehrt haben, dass direkt am Strand  ein 18 000 Quadratmeter grosses Grundstück auf mehr als seltsame Weise hätte touristisch genutzt werden sollen. Dies an einem der wichtigsten Meeresschildkrötenstrände der Türkei.

Unmittelbar nach dieser Klage erhielten über hundert Pensionsbetreiber Post. Darin stand, dass ihre Pension illegal, da in der "Waldzone" gelegen und hier sei jegliche Bebauung untersagt, der Betrieb sei zu leeren und werde abgebrochen.

Welche Zone darf es denn nun sein?

Tatsächlich gibt es verschiedene Pensionsbetreiber, welche aus damaliger und heutiger Sicht gewusst haben, dass ihr Standort nach üblicher Lesart nicht bebaut werden sollte, respektive eines Tages abgerissen werden könnte. Sie haben also spekulativ gehandelt und müssen nun das eingegangene Risiko teuer bezahlen. 

Für ander Besitzer sieht die Situation folgendermassen aus: Was vor 30 Jahren als so genanntes 2-B Land genutzt und bebaut werden konnte, wurde wieder in Waldzone umdefiniert. Dagegen wurde erbittert gestritten, erfolglos. Viele Betreiber sagen auch, es sei ihnen völlig neu, dass nun auch ihr Haus, ihre Pension scheinbar im Walde liege, davon sei nie die Rede gewesen.

20 Jahre als "Illegale" legal arbeiten und Steuern bezahlen

Geradezu grotesk ist die Tatsache, dass sämtliche Betriebe im Besitze von Betriebsgenehmigungen sind, legal Wasser und Strom beziehen und bezahlen, ihr Gästeankünfte regulär verbuchen und weitermelden, Steuern bezahlen etc. etc. Ein Teil der Verwaltung hat dies also bewilligt und toleriert, während nun ein anderer Teil auf Grund höheren Interesses aktiv wird und das alles rückgängig zu machen gedenkt. Gut möglich, dass damit das gesamte Dorf, zumindest die touristische Marke Cirali von der Landkarte verschwindet.

Es geht um viel Geld

Letzte Woche wurde im türkischen Parlament erneut eine Gesetzesänderung zum Thema Verkauf von Land an Ausländer genehmigt. Demnach dürfen nun bis zu 30 000 Quadratmeter Land durch Ausländer erworben werden, in Einzelfällen sind Ausnahmen zum Erwerb noch grösserer Flächen erlaubt. Bereits seit anfangs dieser Woche informieren und werben offizielle Stellen in den Tourismusregionen mit diesem Gesetz. Erwartet werden Mehreinnahmen für den Staat in Höhe von 20 Mia TL. 

Dieses Geld ist derzeit bitter nötig, denn sowohl Tourismus als auch Wirtschaft liegen deutlich hinter den Budgetprognosen zurück. Vor diesem Hintergrunde befürchten viele Kritiker der Vorgänge um Cirali, dass hier einfach abgebrochen und wenig später umgezont und meistbietend an Investoren verkauft wird. 

..und der Artenschutz?

Çıralı steht auf der Liste der 21 wichtigsten Legestrände für Meeresschildkröten. Dies wiederum beinhaltet Einschränkungen bezüglich Nutzung des Strandes, aber auch Auflagen bezüglich der Bebauung. So lange dieser Status besteht, dürfte eine intensive Nutzung der Zone kaum möglich sein. Es stellt sich also die Frage,  inwiefern in den nächsten Wochen auch mit einer Umzonung in diesem Bereiche zu rechnen ist, womit dann das letzte Hindernis für den "grossen" Tourismus aus dem Wege geräumt wäre. Das allerdings wäre ein Thema, welches nicht einfach so übergangen werden sollte. Viele europäische Universitäten, internationale Tierschutzorganisationen und die EU selbst haben nämlich mit ihrem Einsatz und auch recht viel Geld dazu beigetragen, dass in der Türkei solche Schutzzonen überhaupt eingerichtet wurden.

Gewaltiger Image-Schaden


Wieder einmal kommen zu Beginn der Tourismussaison Abbruchbefehle. In Tourismusgebieten gilt ab 15. Mai ein absolutes Bauverbot. Hier in in Çıralı, wo die Saison früher als anderswo beginnt, reisst man Pensionen ein, müssen Gäste ihre Zimmer verlassen!  Üblicherweise ist dann für das Aufräumen niemand zuständig und die Trümmer liegen herum, bis ein neuer Besitzer sich ihrer annimmt. Für das Image Çıralıs ist das Szenario natürlich verheerend, sollte man diesen Sommer mit solchen Bildern konfrontiert werden.

Noch gravierender ist jedoch der Schaden, der damit für den türkischen Tourismus entsteht. Indem nämlich die letzten Nischen für einen alternativen und gleichzeitig hochwertigen Tourismus zerstört werden, bleibt nur noch die Abhängigkeit vom Massentourismus und gerade 2012 muss die Türkei erleben, dass sich diese Ströme nicht zwingend in die Türkei ergiessen müssen. 



Kommentare

  1. Ich komme gerade aus Cirali, habe die Abbrucharbeiten life miterlebt. Muß sagen, dass das Vorgehen der Behörden unangemessen und brutal war.
    ca 150 Polizisten und Jandarma, bewaffnet mit Schilder, Knüppel und MP`s gegen ca 40 unbewaffnete, friedlich protestierende Dorfbewohner, das spricht Bände. Die sogenannten Abrisse gestalteten sich so, dass ein großer Bagger die Dächer der Häuser einschlug, bestehende Außentreppen abbrach und den Häusern dann noch einen kräftigen Seitenhieb verpasste, so dass nur noch gefährliche, baufällige Ruinen übrigblieben die von den Betreibern jetzt sebst beseitigt werden müssen.
    Betroffen von dieser ersten "Maßnahme" sind die Pensionen: Fehim, Sima Peace, Rose und Emek.
    Insgesamt sollen 148 Betiebe, so sie nicht freiwillig gehen, geschleift werden. Was mit den auf eigenland "scwarz" gegauten Häusen geschieht ist noch nicht ganz klar. Das Gerücht, dass Großinvestoren sich die Bucht unter den Nagel reisen wollen erhärtet sich von Tag zu Tag. Das wäre in der Tat das Aus der Turismusmarke Cirali.
    Von einigen offenbar mitfühlenden Polizisten wurde unter vorgehaltener Hand nicht nur den Betroffenen das Bedauern der Maßnahme zum Ausdruck gebracht, sondern auch die Information weitergegeben, dass nach Cirali das Baumhausdorf Olympos, in dem sich seit Jahren Jugendliche aus aller Welt treffen geräumt werden soll. Es gibt da wohl schon Pläne, ein ordentliches, modernes Holzhausdorf,als Ersatz zu bauen. Ob die Jugend der Welt dann noch kommt, nicht nur weil sie das nicht mehr Bezahlen ksondern auch wegen der verlorengegangenen Atmosphäre ist fraglich.
    S. aus Berlin, seit 16 Jahren Gast in Cirali

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    1. Hallo ,
      wir wollen eigentlich die nächsten 14 Tage Urlaub in Cirali Verbringen und zwar im Azur. Überlegen nun alles zu stornieren bzw. in der nähe nach Unterkünften zu suchen. An welcher Stelle befinden sich denn die Pensionen die bereits abgerissen wurden. Vor der Brücke nach Cirali ?
      Viele Grüße
      A.

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    2. Hallo

      Sinnvollerweise setzt du dich direkt mit Azur in Verbindung. Ich glaube nicht, dass während der kommenden Monaten weiter abgebrochen wird. Wenn schon, dann ab Oktober.
      Schönen Urlaub in Cirali
      Walter

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    3. Hallo,
      Was Ihren Urlaub im Azur angeht kann ich Sie denke ich beruhigen. Soweit ich weiss ist das Azur nicht in der Abbruchzone und hat auch so eine Genehmigung. Das Hotel ist also nach meinem Wissensstand völlig "legal". Bald ist die Eröffnung des neuen Pools. Ich denke wenn das Hotel auf der Abbruchliste stehen würde, hätte sich der Besitzer nicht in solche unkosten gestürzt.
      Grüße
      Ailanthus

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  2. Hallo

    Vielen Dank für den ergänzenden Kommentar. Einmal mehr erschreckt an dieser Aktion, dass nicht kommuniziert wird, wie es denn eigentlich weiter gehen soll, was für die Zukunft geplant wird. Das geschieht alles verdeckt. Aus diesem Grunde bringe ich immer wieder das Thema Artenschutz ins Spiel. Nach den derzeitigen Artenschutzbestimmungen, welche international abgestimmt sind, dürfte eigentlich ein Tourismuszentrum im klassischen Sinne hier gar nicht entstehen...
    Dazu kommt, dass in den letzten 30 Jahren der Grund, auf welchem die Pensionen stehen mehrfach von 2B zu Wald und umgekehrt umgezont wurde.. Auch das ein unglaubliches Vorgehen.

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  3. Ich war jetzt wieder drei wunderbare Wochen in Cirali und habe auch mit Entsetzen die Abriss-Spuren gesehen und gleich in meinem Blog darüber berichtet (und auch hierhin verlinkt, mir hatte jemand von diesem Blog erzählt).
    http://www.zamyat-seminare.de/blog/einzelansicht////bedrohtes-paradies/

    Ich habe nach wie vor den Eindruck, dass viele der Pensionsbetreiber es nicht wirklich wahrhaben wollen, dass sie auch bedroht sind- und von Zusammenhalt und gemeinsamen Aktionen ist auch nicht sehr viel zu spüren. Einige sind aktiv, fahren zu allen möglichen Behörden, aber wie mir erzählt wurde, wurde nicht einmal der Bürgermeister in Ankara vorgelassen.

    Im Herbst fahre ich wieder hin und werde dann wohl mehr erfahren. Es wäre einfach unglaublich, wenn eins der wenigen idyllischen Orte mit Natur und Ruhe auch zubetoniert würde mit Bettenburgen. Einfach unfassbar!
    Abgesehen davon, dass ich dort zukünftig häufiger Seminare anbieten möchte...

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  4. welche Pesionen werden noch abgerissen? Gibts irgendwo Auskunft?
    Grüße
    Kemal

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    1. Hallo Kemal
      Es wird viel gemunkelt und ich möchte mir (aus 250 km Entfernung) nicht die Finger verbrennen. Derzeit wird von drei weiteren Pensionen gesprochen, welche bis Ende Monat geräumt sein sollen. Diese liegen hinter der Düne und nehmen offenbar bereits keine Reservationen mehr an.

      In der fraglichen "Waldzone" liegen über 150 Pensionen...

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  5. Hallo,
    wir wollen im Herbst 2013 das erste mal nach Cirali reisen.
    Nun bin ich entsetzt, über das hier geschriebene. Das klingt danach, dass durch diese "Umbenennungen" von Grund in Wald und umgekehrt, wieder mal der Mensch / die Menschen als Unruhestifter aufgrund von Profitgier handelt/handeln. Das darf nicht passieren! Somit wird wieder mal ein Stück Natur zerstört, wo seit Ewigkeiten sozusagen "genehmigter" Individual-Tourismus stattgefunden hat, der offensichtlich auch ordentlich verbucht wurde.

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