Der Ort Cirali sieht sich mit einer
Flut von Abbruchbescheiden konfrontiert. Rund 100 Pensionen und
Restaurants sollen innert sehr kurzer Frist abgerissen werden, da aus
Sicht des Staates illegal gebaut. Das will etwas genauer erklärt
sein:
In der Vergangenheit bestand ein
Gesetz, wonach Land, welches dem Staate gehörte, von Privaten gegen
eine kleine Entschädigung zu landwirtschaftlichen Zwecken genutzt
werden konnte und nach einer bestimmten Bewirtschaftungszeit (25
Jahre) bei einem allfälligen Verkauf mit Vorzugsrecht erworben
werden konnte. In diesem gesetzlichen Rahmen wurde Cirali besiedelt.
Dieses Land nannte man 2B-Land.
Das sanfte Tourismuskonzept der 90-er
Jahre
brachte insofern eine Änderung, als nun diese Bauern auch
Gästezimmer anbieten durfte. Verschiedene Pensionen im alten
Dorfteil zeigen noch heute, wie dies zu verstehen war. Da jedoch mit
Tourismus mehr Geld zu verdienen war als mit der Landwirtschaft,
verschoben sich die Schwerpunkte schleichend in Richtung Tourismus.
Neue Investoren kamen, Familien teilten ihre Parzellen neu auf und so
entstanden nach und nach reine Pensionen oder Hotels, garniert mit
Obstbäumen.
Um diesem Treiben Einhalt zu gebieten,
soll es von staatlicher Seite Angebote an die Bewirtschafter dieser
2B-Parzellen gegeben haben, welche jedoch angesichts sehr hoher
Preise auf einen Kauf verzichteten. Daraufhin erfolgte die Umzonung
der 2B-Ländereien in Wald, womit gesetzlich irgendwelche weitere
Bautätigkeiten untersagt wurden. Das alles konnte nicht verhindern,
dass über Jahre weitere Pensionen entstanden, bestehende ausgebaut
wurden.
Die umstrittene Auszonung eines
Strandabschnittes, Vermietung von 18 000 m2 Land an einen Sportclub
des Waldministeriums für 5000 TL jährlich, welcher gleichentags
einen Vertrag mit einem Investoren aus Istanbul im Werte von 55 000
TL unterschrieb, brachte die einheimische Bevölkerung auf den Plan,
welche massiv demonstrierte, was einen vorläufigen Stopp des
geplanten Projektes zur Folge hatte.
Das Waldministerium schickte
Inspektoren, welche einen Bericht zu erstellen hatten und anscheinend
geht es nun darum, dass da eben auch festgehalten wurde, dass nach
dem geltenden Bodenrecht ein Grossteil der Pensionen Ciralis illegal
errichtet und folglich abzubrechen sind. Das Ministerium wiederum
sagt, es gehe darum, diese Gegend zu schützen, Wald sei Wald (obwohl
man keine Tannen mehr sieht..) und folglich müssten nun nicht nur
das aktuell strittige Projekt gestoppt, sondern grundsätzlich klare
Verhältnisse geschaffen werden.
Die Aussage des Ministeriums, Natur-
und Artenschutz habe Vorrang, kontern die die Leute vor Ort mit dem
Argument, es gehe letztlich nur darum, diese Bucht für den
Massentourismus zu erschliessen und da passe das Konzept Cirali nicht
hinein. Deswegen werde jetzt abgebrochen, enteignet, zu einem
späteren Zeitpunkt von Wald auf Tourismus umgezont und viel Geld
verdient. Tatsächlich gab es schon in den 90-er Jahren Planungen,
hier einen grossen Golfplatz zu errichten, dann folgte die Idee einer
grossen Mülldeponie und auch 2004 wurde erneut über
Hotel-Grossprojekte diskutiert.
Andererseits ist da der Investor,
welcher bereits ein Hotel in Cirali besitzt. Er stellt sich auf den
Standpunkt , wenn ihm diese Bewilligung nicht erteilt werde, dann sei
zu prüfen, wie denn verschiedene Pensionen jahrelang in einer
Grauzone arbeiten könnten, welche deutlich problematischer sei, als
das von ihm vorgelegte Projekt.
Artenschutz: Massentourismus am
Meeresschildkrötenstrand?
Im Wege stehen all
diesen Plänen die Meeresschildkröten. Cirali figuriert unter den 20
wichtigsten Legestränden der Türkei. Der Strand und das Küsten
nahe Meer sind Naturschutzgebiet. Hier gelten Auflagen wie:
Besucherverbot am Strand zwischen 20 Uhr und 6 Uhr. Kein Wassersport
und Motorboote dürfen sich in einem Radius von mehr als einem
Kilometer lediglich mit 5 km/h bewegen. Keine Lichtquellen in
Richtung Strand, was bisher recht gut gewährleistet war. Hinter dem
Strand ist ein rund 200 Meter breiter Puffergürtel ebenfalls unter
Schutz und mit Bauverbot belegt. So sehen es die eingegangenen
internationalen Artenschutzverträge vor. Die türkische Sektion des
WWF wirbt mit ihrem Engagement für Cirali, ein Konzept, das mehrfach
von internationalen Tourismus- und Umweltschutzverbänden
ausgezeichnet wurde.
Der Schutz der
Meeresschildkröten geschieht unter der Führung des örtlichen
Vereins, welcher aber weitgehend auf sich alleine gestellt ist und,
abgesehen von einer Ausnahme, auch nie finanziell unterstützt wurde.
Diese Problematik kann man an allen Meeresschildkrötenstränden
verfolgen. Entweder handelt es sich um gut dotierte
Universitätsprojekte, welche finanzielle massgeblich von Ausländern
getragen werden, oder aber es sind eine Handvoll Freiwilliger, welche
versuchen, das Beste aus der Situation zu machen. Der Staat selbst
erlässt zwar sehr viele Vorschriften, doch engagiert er sich
finanziell so gut wie nicht im aktiven und vor allem kontinuierlichen
Schutz.
Sollten sich die
Pläne des Ministeriums tatsächlich in Richtung Massentourismus
entwickeln, dann stellen sich natürlich Fragen in Sachen Artenschutz
und Einhaltung international eingegangener Vereinbarungen.
Massentourismus und Artenschutz passen nun mal nicht zusammen.
So gesehen sind
eigentlich die Meeresschildkröten der einzige Hoffnungsschimmer, an
dem sich die einheimische Bevölkerung Ciralis wird festhalten
können. Sie verhindern derzeit die Erschliessung für den
Massentourismus. Diesem Umstand gebührend Rechung zu tragen
bedeutet, dass man auch vor Ort zurückbuchstabieren muss, dass
viele, in den letzten Jahren gebaute Pensionen in Meeresnähe
tatsächlich abgerissen werden müssten, aber Cirali als alternative
Tourismusdestination in seinem Ursprung bliebe erhalten.
Zu wünschen wäre,
dass sich die türkische Verwaltung und die zuständigen Ministerien
im Ausland über bestehende, äusserst erfolgreiche
Artenschutzprojekte informieren und diese in der Türkei umsetzen
würden. Gerade das Projeto Tamar aus Brasilien zeigt, wie mit einer
klugen Planung eine Win Win-Situation für alle Beteiligten
geschaffen werden kann. (und hier die offizielle Seite)
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