
a) Klassen
werden mit Schülerinnen und Schülern aus 2 – 3 Jahrgängen durchmischt,
verändern ihre Zusammensetzung also jedes Jahr, indem ein Jahrgang aus- und ein
neuer Jahrgang eintritt, während 2 Jahrgänge in der Klasse verbleiben. Wir nennen dies
Mehrklassenschule.
b) Die
unterschiedlichen Lernfähigkeiten, der unterschiedliche Entwicklungsstand von
Schülern im Einklassensystem bringen es mit sich, dass auch das Lerntempo
unterschiedlich ist, einzelne Schüler in 2 Jahren das schaffen, was andere in
drei Jahren knapp erreichen. Dabei ist
jedoch nicht ausgeschlossen, dass bei diesen „schnellen“ Schülern ein oder
zwei Jahre später ein Durchhänger kommt,
während die ehemals „Langsamen“ plötzlich flott vorankommen. Es gibt also
verschiedene Leistungsniveaus und daraus resultiert ein unterschiedlicher
Leistungsstand. Bisher hat Schule zu diesem Thema den gangbaren Mittelweg
gesucht, was zu permanenter Unter- oder Überforderung eines Grossteils der
Klasse geführt hat.
Während die Mehrklassenschule derartige
Leistungsschwankungen einzelner Schüler bis zu einem gewissen Grade abzufedern
vermochte, stiess diesbezüglich das alte Einklassensystem sehr schnell an seine
Grenzen.
Repetition oder Anschluss verlieren, das waren die Konsequenzen. Ein
weiterer, ganz kritischer Punkt muss hier ebenfalls beleuchtet werden:
Frühe Selektion mit
nachhaltigen Folgen:
Im regionalen Bildungswirrwarr finden teilweise bereits
Schultyp-Selektionen im Alter von 10 Jahren statt. Diese sind leistungsbezogen
und nur bedingt durchlässig. Es werden hier also „Weichen für die Zukunft“ gestellt. Das muss man sich vor Augen halten! In einer Entwicklungsphase, welche alles
andere als stabil ist (Mädchen stecken in dieser Zeit mitten in der Pubertät
und sind oft mehr mit sich selbst als mit der Schule beschäftigt, Knaben folgen
ein oder zwei Jahre später), wird auf Grund gemessener Leistung eine
zukunftsweisende Selektion
betrieben. Und: Wir sprechen hier von
Kindern, welche mitten in ihrer Entwicklung stecken und erst langsam
selbstständig und eigenverantwortlich zu denken beginnen!
Was passiert denn eigentlich mit den Jugendlichen, welche
zwei oder drei Jahre später durchaus ein stabiles und gutes Leistungsverhalten
an den Tag legen, aber damals eben nicht
den Anforderungen genügten? Was passiert mit den damals leistungsstarken Gymnasiasten, welche aber ein oder zwei
Jahre später in dieses Leistungsloch fallen? Hier gibt es die vielfältigsten
Modelle. Ihnen allen ist gemeinsam, dass
es einen willkürlich gesetzten Zeitpunkt X gibt, an welchem diese Hürde
zu schaffen ist, oder aber man scheitert definitiv. Natürlich muss irgendwann
selektioniert werden, kein Zweifel. Ich plädiere dafür, bis zum Alter von 16
Jahren grösstmögliche Durchlässigkeit zu
gewährleisten.
Individuelle
Förderung im Zentrum
Das in den vorangegangenen Kapiteln beschriebene
Klassenlehrerteam, in Verbindung mit dem entsprechenden Schulraumkonzept, hat das Potential, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Endlich
hat der dauernd herbeibemühte Begriff Individualisierung auch ein Fundament,
auf welchem er stabil ruht und nicht bei Bedarf aus der Schublade gezogen
wird und nach einer oder zwei
Wochenstunden wieder dort drin landet.
Schule erhält so ein völlig neues Gesicht:
-
Neben der Betreuung eher leistungsschwächerer
Kinder können nun auch leistungsstarke Schülerinnen und Schüler gefördert werden.
Das kann durchaus das Überspringen einer Klasse bedeuten. Ebenso kann dies
jedoch dazu führen, dass leistungsstarke Kinder in anderen Kompetenzen
gefördert werden, denn die Wirklichkeit zeigt, es ist nicht nur die Note,
welche beruflichen Erfolg gewährleistet.
-
Neben dem übergeordneten klassischen Lehrplan
entstehen zusätzlich individuelle Halbjahresziele
für die Kinder. In deren Zentrum stehen
allfällige Schwächen, Lücken, oder eben weiter gehende Förderung. Solche individuellen
Pläne können halbjährlich mit Eltern-Kind-Lehrkräften gemeinsam besprochen und
neu erstellt werden. Somit wird Schule transparent und aktuell,
nachvollziehbar. Kurze Beurteilungsberichte, welche nicht nur das
Leistungsniveau, sondern auch das soziale Verhalten und weitere Wahrnehmungen
beinhalten, können für alle Beteiligten äusserst
hilfreich sein.
-
Es gibt so gut wie keine Wartezeiten mehr in der
Schule. Auch das ein leides Kapitel, wie sich in den meisten Schulstunden
beobachten lässt. 1/3 der Klasse ist bereits mit einer Arbeit fertig und muss
nun „weiter beschäftigt werden“, 1/3 wird bald fertig sein und 1/3 humpelt
hintennach und darf den Rest als Hausaufgabe auf morgen fertigstellen. Mit dem
neuen Lehrerteam können diese Probleme anders angegangen werden:
Wochenplan:
Hierbei handelt es sich um den Roten Faden, der die kommende
Woche durchziehen wird. Wichtige Einführungslektionen, Übungsstoff und
Materialien, Besonderes zu laufenden Projekten, besondere Anlässe, wöchentliche Kontrolltests etc. sind hier für Schüler,
Eltern (welche die Wochenpläne unterschreiben) detailliert aufgeführt. Das ist
das Gerüst der Woche und es ist durchaus möglich, dass auch Schüler diesen Wochenplan aktiv mitgestalten können.
Wochenpläne werden von den Eltern unterschrieben.
Individueller Lernplan:
Er entsteht nach einer Beurteilungsphase mit Tests bei
Eintritt in die Klasse und wird natürlich laufend überprüft und ergänzt oder
erneuert. Er kommt zum Einsatz, wenn die Wochenplan-Arbeiten soweit erfüllt
sind, wobei es selbstverständlich pro Woche Freiraum in Form von mehreren
Lektionen gibt, in welchem an diesen individuellen Lernzielen gearbeitet wird.
Selbstständige
Schüler gewöhnen sich sehr schnell an diese Arbeitstechnik und beginnen mit
ihren individuellen Arbeiten an einer der Arbeitsstationen oder am Stammplatz.
Es gibt also keine „tote Zeit“ mehr im Schulzimmer und somit auch so gut wie
keine Ruhestörungen wegen Langeweile etc.
Diese Individualisierung führt unweigerlich zu unterschiedlichen Leistungsniveaus. Das
heisst nun nicht, dass die Klasse als solches auseinanderfällt, sondern, dass
die einzelnen Schüler ihren Fähigkeiten entsprechend mit Aufgaben betraut
werden. Themen, welche letztlich der Klasse zu Gute kommen. Es entsteht meiner Erfahrung gemäss auch
keine Klassenelite, wenn man nicht einfach Leistung von Kernfächern als Mass
der Dinge nimmt. Denn es gibt so genannte leistungsschwache Schüler, welche auf
ganz anderen Ebenen Qualitäten haben, von denen wiederum die Klasse profitieren
kann. Hier hat das Lehrerteam die wichtige Funktion, dieses Gleichgewicht
aufrecht zu erhalten, denn damit wird auch ein Klima der gegenseitigen
Akzeptanz und des Respektes unter den Schülern geschaffen.
Werden da Schule und Unterricht nicht verbürokratisiert?
Zugegeben, Wochenpläne erstellen und die entsprechenden
Arbeitsblätter bereitstellen, das ist zeitintensiv. Dazu kommen noch die
individuellen Lernziele, welche aktualisiert sein wollen. Um völlige
Transparenz zu haben und die Eltern gleich mit einzubinden, liessen sich die
Wochenpläne und Arbeitsblätter ausserdem ins Internet stellen. Damit entfallen
Situationen wie „Aufgaben vergessen“, „wir wussten nicht, was unser Sohn als
Hausaufgaben zu machen hat“ etc. ein für alle Mal, oder aber: die so genannten Hausaufgaben sind bereits in
die Tagesschulstruktur integriert. Das wäre ein weiterer Schritt in Richtung
Chancengleichheit.
Wochenplan und persönliche Lernziele sind der Rohbau.
Niemand kann ein Haus individuell auszugestalten beginnen,
wenn nicht zuvor Wände und Decken gebaut wurden. Genau so ist es in der Schule.
Das Gerüst aus Wochenplan und persönlichen Lernzielen ist der Rohbau, bildet
die Grundstruktur der Schulwoche. Erst dank dieser Struktur kriegen die
Lehrkräfte die Hände frei, sich individuell mit Schülergruppen oder einzelnen
Schülern zu befassen. Klassen, welche langsam an dieses System herangeführt
werden, entwickeln nach kurzer Zeit einen sehr hohen Output, wie ich immer
wieder feststellen konnte. Als Lehrkraft habe ich zugleich den Rücken frei und
kann mich mit gezielter Betreuung oder Beratung einiger weniger Schüler
befassen, ohne dass im Rest der Klasse das Chaos ausbricht.
Kindgerecht und alterstypisch
Diese Form von Unterricht nimmt in erster Linie Rücksicht
auf die alterstypischen Besonderheiten und Bedürfnisse, natürlich auch sozial
unterschiedliche Umgebungen, aus denen die einzelnen Kinder stammen.
Mit diesem Schulsystem werden Kompetenzen und
Zuständigkeiten dorthin konzentriert, wo sie hin gehören, in das Klassenzimmer
und nicht in diverse flankierende Dienste, mit welchen Eltern noch nie zu tun
hatten.
Mindestens 80% der Schüler können innerhalb dieser Struktur
optimal gefördert werden, das ist ein wesentlicher Unterschied zum bisherigen
Schulsystem. Die Schwierigkeit der restlichen 20% besteht grob gesagt darin,
dass sie immer noch unter- oder überfordert sind, wobei sich dann für Letztere
ein Überspringen der Klasse aufdrängt. Die Gruppe der überforderten Kinder ist
komplexer. Möglicherweise haben sie tatsächlich elementare Lernschwierigkeiten,
eine Beschränktheit, oder aber sie sind mit der Grösse der Klasse überfordert,
müssten noch intensiver in Kleingruppen gefördert werden. Es ist nicht
auszuschliessen, dass ein gut eingespieltes Team diese Problematik ebenfalls in
der Griff kriegt.
Erfahrungen an Mehrklassenschulen zeigen, dass Schüler
solcher Klassen im Bereiche Lernkompetenz, Sozialkompetenz, aber auch in Sachen
klassischer Leistung nach sechs Jahren überdurchschnittlich gut da stehen. Wenn
nun noch ein komplettes Lehrerteam dazustösst, werden diese Ergebnisse noch
viel positiver sein, kein Zweifel. Es
gibt also objektiv keine Gründe, diese Form von Unterricht planerisch nicht unverzüglich
an die Hand zu nehmen und falls wieder die Kostenkeule kommen sollte, verweise
ich auf die vorangegangenen Kapitel, in denen dieses Argument entkräftet wurde.
Dossier Schule: Vorangegangene Beiträge
Dossier Schule: Vorangegangene Beiträge
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