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Türkei: Fragen zur wirtschaftlichen Perfomance (1)

Viel ist zu lesen in Anlagebroschüren, Wirtschaftszeitungen und - kommentaren in Sachen Tigerstaat Türkei, Wirtschaftswachstum, Krisenresistenz. Wieder einmal herrscht Goldgräberstimmung bei Spekulanten und Anlage-Fonds und es werden  keine Mühen gescheut, etwas risikofreudigere Anleger für den Finanzplatz Türkei zu gewinnen. Als Nichtgelehrter erlaube ich mir trotzdem, in diesem und einem weiteren Beitrag, einige Dinge zu hinterfragen.

Börsenhype
Was als solcher dagestellt wird, ist so neu nicht.  Der Börsenindex steht derzeit bei 72300 Punkten, was von den einschlägigen West-Journalen mit eindrücklichen Wachstumszahlen untermauert wird. Unterschlagen werden zwei Dinge:

1. Bereits zweimal hat der IMKB in früheren Jahren die 70 000-Punkte-Marke geknackt. 2008 folgte dann ein krasser Einbruch um
etwa 56 %, entstanden auf Grund der Tatsache, dass angesichts der Krise die Schnäppchenjäger und Fonds kalte Füsse kriegten, ein riesiger Geldabfluss stattfand, obwohl diese Sorge völlig unbegründet war, da die türkischen Banken solide da standen.Trotzdem, bis November 2010 kletterte der Index von rund 30 000 Punkten erneut an die 70 000 Punkte-Marke, was dann mit phantastischen Prozentquoten beworben wurde. In Wirklichkeit wurden Verluste wettgemacht.. Seither geht es etwas rauf, etwas runter.

2. Dies alles war nur möglich, weil die Türkei zwischen 2008 bis Ende 2010 die TL im Grunde genommen um rund 40% abgewertet hat. Damit wurde das Land für Investoren wieder interessant. Für die Bevölkerung setzte jedoch eine unheimliche Teuerungswelle ein, welche in keiner Inflationsstatistik nur annähernd ausgewiesen wird.  Devisenkurse Dezember 2007   Devisenkurse Dezember 2011

Fazit: Wer in diesem Zeitraum Geld an der Börse investiert hat, liegt rein rechnerisch seit einigen Wochen im Plus, abzüglich des Wertverlustes der TL jedoch weiterhin im Minus. Nur: Über diesen Zeitraum investiert niemand. Hier sind die Schnäppchenjäger unterwegs, welche kurzfristig Gewinne machen wollen und ganz schnell abhauen, wenn es zu ziehen beginnt. So sind diese extremen Ausschläge zu verstehen.

Banken:
Nach der schweren Finanzkrise 2001 wurden die Banken sehr kurz an die Leine genommen, unter anderem mit der Auflage hoher Eigenkapitalquoten im Kredit- und Anlagegeschäft. Das hat sich zweifellos gelohnt, denn als Rückgrat des türkischen Finanzsystems gerieten sie 2008/09 nicht ins Wanken, was sogar dem Handelsblatt auf dem Höhepunkt der europäischen Krise einen speziellen Beitrag wert war.
Nicht erwähnt wird, dass diese Reformen von 2001 natürlich einen viel höheren Kapitalbedarf im Bankensektor erforderten. Angesichts des hohen Zinsniveaus, vor allem auch der unglaublich hohen Zinsen im Konsumkredit-Geschäft war es kein Problem, für die meisten der verbliebenen Banken ausländische Partner-Banken  zu finden, welche von diesen Zinsmargen profitieren wollten. 
Mit diesem frischen Kapital ausgestattet wurden ab 2005 Konsumkredite in einem Masse befeuert, welches man sich in Europa nicht vorstellen kann. Dank der hohen Jahreszinsen von damals weit über 20% konnte man auch Ausfälle einkalkulieren und verdiente trotzdem sattes Geld.  Diese Konsumkredite wiederum waren verantwortlich dafür, dass natürlich gekauft wurde, die Wirtschaft wachsen konnte. 

Privatverschuldung
Die Folge ist , dass die Privathaushalte heute extrem verschuldet sind, was dieses Jahr bereits ein Thema in  der Welt war. Wachstum auf Pump, ja und dies seit mindestens 2004. Wohl gibt es Versuche, vor allem das Kleinkredit-Geschäft besser in den Griff zu kriegen nur: Wo mehr ausgegeben als eingenommen wird, da können keine Schulden bezahlt werden, da wächst aber auch die Wirtschaft nicht mehr. Also müssen neue Schuldenpötte angeschleppt werden, welche ausserhalb der normalen Kreditkartengeschäfte verankert werden. 
Diese gibt es reichlich,angeboten vom Staat und Finanzsektor und zwar in ausgesprochen erfinderischer Form. Dies dann ein Thema im nächsten Beitrag.

Budgetdefizite des Staates
So gut wie nicht beachtet werden die Budget-Defizite des Staates. Hier ist es schwierig, an detaillierte Zahlen heranzukommen. Nur soviel: Für 2013 rechnet der Staat bei Einnahmen von 410 Milliarden TL mit Ausgaben von 444 Milliarden TL, einem Ausgabenüberschuss von 8,2%. Nicht bekannt ist, wieviele ausserordentliche Einnahmen aus weiteren Privatisierungen im Einnahmeposten bereits enthalten sind.
Ebenso gibt es keinerlei Angaben zu budgetierten, aber nicht bezahlten Posten wie Versicherungsprämien, Steuern etc, wo bekanntlich die Zahlungsmoral sehr schlecht ist. Türkische Finanzexperten gehen da alleine im Bereiche Umsatzsteuern, Versicherungsprämien und Gewerbesteuer von Beiträgen im hohen zweistelligen Milliardenbereich aus. 
Wie man diese Ausstände weiterhin als Aktivposten in den Bilanzen führt und was in der Praxis letztlich damit geschieht,  im nächsten Beitrag.

Dieses Thema müsste EU und IWF schon längst unter den Nägeln brennen, denn, was von staatlicher Seite als Reduktion der Staatsverschuldung in wunderbaren Statistiken ausgewiesen und vom IWF übernommen  wird, ist in Tat und Wahrheit eine gewaltige Umlagerung der Schulden in den Privatsektor und die Privathaushalte!!

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