Entmachtung Davutoglus
Während sich der Ministerpräsident
auf einer Auslandreise befand, entschied der Parteivorstand, die
Befugnisse des Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden deutlich
einzuschränken. Ein ungewöhnlicher Vorgang, weil der
Hauptbetroffene und Parteivorsitzende gar nicht anwesend war. Wer war
da eigentlich der Strippenzieher? Ein Zitat Erdogans eine Woche VOR
dieser Vorstandssitzung: „Jeder muss sich bewusst sein, WEM er den
Sessel zu verdanken hat, auf dem er sitzt“. Eine deutliche Warnung,
ausgesprochen vom Staatspräsidenten, laut Verfassung neutral und
über den Parteien stehend.
Dies führte zu einem längeren
Gespräch Davutoglu-Erdogan, dessen Ergebnis ein Sonderparteitag mit
Neuwahlen war. Davutoglu wird nicht mehr kandidieren und somit auch
sein Amt als Ministerpräsident aufgeben. Es gab 2009 ein
vergleichbares Ereignis zwischen dem Militär und Regierungschef
Erbakan, zu jener Zeit noch in einem Boot mit Erdogan und Gül.
Damals sprach man von einem „postmodernen Putsch“. Im Falle
Davutolu hat sich der Begriff „Putsch unter Freunden“ etabliert.
(dostmoderndarbesi)
Am Sonderparteitag nächste Woche soll
der neue Partei-Chef (und damit der neue Ministerpräsident) gewählt
werden. Es ist durchaus möglich, dass da auch eine erneute
Kabinettsumbildung stattfinden wird. Ein Trend, der sich immer
deutlicher abzeichnet: Erdogan bewegt sich hin zur Clanwirtschaft.
Leute, welche ihm aus wirtschaftlichen, politischen oder familiären Gründen
untertan sind. Ganz spannend in diesem Zusammenhang wird auch die
Rolle des neuesten Schwiegersohns sein, der dieses Wochenende die
jüngste Tochter Erdogans geheiratet hat. Ein Fest mit 6000 geladenen
Gästen.
2/3 Mehrheit ohne Wähler – wie erreicht man das?
In den kommenden Tagen wird im
Parlament über die Aufhebung der Immunität von über 130
Abgeordneten entschieden. Ihnen wird vorgeworfen, terroristische
Umtriebe zu unterstützen, Geheimnisverrat, Korruption usw. Für eine
Dauer von einem Monat gilt die Aufhebung, in dieser Zeit könnten
also Untersuchung und daraus resultierend Klagen geführt werden.
Wenn es nun gelingt, die HDP mit diesen Verfahren z.B. durch ein
Verbot aus dem Parlament zu kriegen, wäre der Weg frei für die
Präsidialverfassung, welche Erdogan als Staatspräsident weitest
reichende Vollmachten einräumt. Dies scheint offensichtlich das
erklärte Ziel zu sein.
Kompetenzen, die er jetzt schon ausübt,
indem er sich mit seiner Auslegung des Amtes weit außerhalb der
geltenden Verfassung bewegt.
Terrorismus, Parallel-Strukturen, Tiefer Staat
Begriffe, welche die Türkei seit
Jahrzehnten prägen. Immer wieder wurden andere Gruppierungen oder
Parteien damit in Verbindung gebracht. Inzwischen scheint es so,
dass alles, was sich nicht auf Erdogan-Linie bewegt, entweder als
Unterstützer von Terroristen, Aufbau einer Parallelgesellschaft
(natürlich staatsfeindlich) oder Tiefer Staat (subversive
Unterwanderung der Staatsorgane) definiert wird.
WER ist denn der Parallelstaat?
Greifen wir wieder auf die gültige
Verfassung zurück, so kommt man zu einem sehr seltsamen Ergebnis:
Dieser Staatspräsident agiert auf eine
völlig andere Art und Weise, als es die Verfassung vorsieht. Er ist
Partei, er ordnet an oder lässt anordnen,was dann untertänigst
befolgt wird. Er kündigt an und Gerichte oder Parlament sind bemüht,
dies zeitnah umzusetzen und den Schein von Demokratie zu wahren. Das
Parlament wiederum beschließt am Laufmeter Gesetzesreformen, welche
einzig und alleine dazu dienen, die eigentlich bestehende Verfassung
ad absurdum zu führen.

So stellt sich die Frage, WIE weit wollen sich
eigentlich EU und Nato NOCH verbiegen, um das vermeintliche
Problem Flüchtlinge MIT der Türkei zu lösen. Genau damit gibt man
Erdogan DEN politischen Joker in die Hand, mit dem er seine
Poker-Partie fortsetzen kann. „Entweder ihr macht, was ich will,
oder ich schicke euch Flüchtlinge.“ Erpressbarkeit ohne Ende –
aus deutscher Sicht auch den Bundestagswahlen 2017 geschuldet.
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