6 Wochen nach den Kommunalwahlen bereichert Staatspräsident Erdogan die Türkei um ein weiteres düsteres Kapitel, was Demokratie und Respektierung von Wahlergebnissen angeht. Das verlustig gegangene Istanbul soll am 23. Juni in einem weiteren Wahlgang für die AKP Erdogans gewonnen werden, indem die Wahl von Ende März für ungültig erklärt wurde.
Erdogans Druck
Während Wochen hat man von ihm wenig gehört, sortierte sich seine Partei neu und begann eine Reihe von Nachzählungen zu beantragen. Hier gab es geringfügige Änderungen, aber nicht DAS, was man sich erhofft hatte. Weiterhin verfügte Ekrem Imamoglu über eine Mehrheit, was dazu führte dass er auch formal als Oberbürgermeister von Istanbul eingesetzt wurde.
Erdogan selbst schwieg bis zum vergangenen Freitag. Der unterlegene AKP-Kandidat Binali Yildirim kündigte jedoch an, man erwarte ein Urteil des hohen Wahlrates ab Montag. Freitag und Samstag war es dann Erdogan, der über alle Medienkanäle Druck aufbaute, indem er "Unrechtmäßigkeiten" bei der Wahl anprangerte und verlangte, dass das Gericht auf diese Punkte einzugehen habe und er "selbstverständlich einen Entscheid des hohen Wahlrates akzeptieren werde."
Worum geht es bei den Einwänden der AKP?
Im Frühjahr 2018 wurde das Wahlgesetz geändert. Ein neuer, wesentlicher Punkt: Vorsitzende der Wahlräte und deren Mitglieder müssen Beamte sein. Bereits damals lief die Opposition Sturm gegen diese Änderung, weil sie dies als Einschränkung der demokratischen Rechte empfand. Im Weiteren war dieses "Beamte" sehr unklar gefasst.
Genau dieser Punkt wird jetzt von der AKP angeführt, nachdem die Nachzählungen keine wunschgemäßes Resultat erbracht haben. 6 Wochen nach den Wahlen folgt der Wahlrat dieser Argumentation, Imamoglu ist nicht mehr Oberbürgermeister - es wird ein "Verwalter" eingesetzt.
Wahlrat und AKP machen sich unglaubwürdig
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Hoher Wahlrat , Mo 7.5.2019 |
Zwar protestiert der Hohe Wahlrat zaghaft gegen das neue Wahlgesetz, moniert Rechtsmängel, stimmt aber letztlich mit 7 zu 4 Stimmen für eine Wahlwiederholung. Interessant: In einem früheren Entscheid wurde dasselbe Ansinnen für 2 Bezirke, Maltepe und Büyükcekmece, einstimmig abgelehnt.
Es ergeben sich jedoch weitere Fragen:
- Dieselben Wahlräte waren bereits letztes Jahr beim Referendum und der "Präsidentschaftswahl" im Einsatz. Also waren auch jene Wahlen (mit national sehr knappem Ausgang!) illegal?
- Was für die Wahl des Oberbürgermeisters gilt, müsste demzufolge auch für die Wahl der Bezirksvorsitzenden Istanbuls gelten. Sie wurden ja am selben Tag gewählt. Davon ist bislang jedoch nicht die Rede - die AKP hat da ja eine Mehrheit im Stadtparlament gewonnen...
- Weiter kommt nun der Hohe Wahlrat extrem unter Druck, weil er absolut berechtigte Einwände der Wahl 2017 ( über eine Million Stimmzettel, welche nicht abgestempelt waren) während der Auszählungsphase als berechtigt zuließ und alle diesbezüglichen Beschwerden abschmetterte. Eine massive Verfälschung des Wahlresultates pro Erdogan, bemängelte die Opposition.
Man muss generell sagen, dass eigentlich alle Wahlen seit 2014 bezüglich Ablauf der Auszählungen gelinde gesagt seltsam, in vielen Punkten nicht nachvollziehbar, aber bislang immer im Sinne Erdogans abliefen...
Wie chaotisch das alles gestern ablief zeigen zwei Beispiele:
- AKP Mitglieder twitterten seit Tagen über den Stand der Beratungen im Hohen Wahlrat, auch gestern während der gesamten Sitzung
- Nach der gestrigen Entscheidung wurde der Wahltermin vorerst auf 7. Juli gesetzt. Stunden später eine Vorverlegung um 2 Wochen auf den 23. Juni.
- Der Vorsitzende des Wahlrates gab vor der Presse keine Erklärung ab, sondern verwies auf eine schriftliche Stellungnahme, welcher noch folgen werde.
Noch ein Detail:
Zum zweiten Male in Folge verlegt Erdogan einen wichtigen Wahlkampf präzise in den Ramadan, die türkische Fastenzeit. Dieses Jahr bleiben nach dem großen Zuckerfest noch zwei Wochen reguläres Leben, in welchen dann Mega-Meetings stattfinden. Diese Vorverlegung vom 7. Juli auf den 23 Juli ist unter diesem Aspekt hochinteressant und wird noch viel zu reden geben.
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