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Türkei: Wirtschaftstiger mit wackligen Zähnen (2)

Der Zufall will es, dass am heutigen Tage die Isanbul-Börse einen scharfen Absturz um -3,16% erlebt hat, damit seit Mitte letzter Woche um beinahe 10% Verluste zu verzeichnen hat. Zugleich verliert die TL nicht nur gegenüber dem Dollar, sondern auch gegenüber dem eher schwachen und Krisen gebeutelten   € deutlich. Der Dollar steht auf Rekordhoch von 1.85 und auch der Euro liegt knapp bei 2.50 TL. Somit sind Einfuhren in die Türkei und dazu gehören Treibstoff und Gas erneut unheimlich teuer geworden, was natürlich an die Konsumenten weitergereicht werden wird.  Damit knüpfe ich an meinem vorangegangen Beitrag an, welcher mit dem Auseinanderklaffen von Löhnen und Lebenshaltungskosten geendet hat. Zu beantworten ist die Frage, woher denn dieses gewaltige Wachstum finanziert wird.

Wachstum auf Pump

Wer schon länger in der Türkei lebt, hat sich an das Phänomen des Schuldenmachens gewöhnt. Anstehen an der Supermarktkasse, wo jemand  nach zwei erfolglosen Versuchen nun mit der dritten Kreditkarte  einige Lebensmittel im Werte von 6 TL bezahlen will.

Wir haben uns daran gewöhnt, dass vor jedem grösseren Feiertag alle Banken Kreditkampagnen fahren. Dieses Jahr: 7000 TL für 7 TL täglich (während 3 Jahren!). Der nächste Privatkredit wird angeboten zum Neujahr, dann kommt eine Durstrecke bis in den Sommer, nein Muttertagskredit gibt es auch noch, worauf das Zuckerfest folgt, im Anschluss daran das Opferfest. Dazwischen noch eine Woche Urlaub, natürlich auf 12 Monate abgestottert, evt. der neueste Flachbildschirm ( da hat man 24 Monate gewählt) und daneben laufen noch Kredite fürs Auto und den Festtagskredit vom Vorjahr usw.


Ebenso haben wir uns daran gewöhnt, dass von Seiten des Staates so alle zwei Jahre ein grosses Umschuldungsprogramm stattfindet, in welchem alle aufgelaufenen offenen Rechnungen an den Staat, teilweise auch Kreditkartenschulden zusammengefasst und über 36 Monate zu Vorzugsbedingungen abgestottert werden können. Damit ist die Kreditkarte wieder belastbar und sollte es mit dem Abstottern nicht klappen, spätestens vor den anstehenden Wahlen wird ein neues Programm folgen. Dies die Situation etwas sarkastisch übergezeichnet.

Zahlen

Bruttoinlandprodukt der Türkei 2010:  735, 264 Mia Dollar Davon gehen nur rund 20% auf das Konto Export.
Staatsverschuldung der Türkei 2009:   201,165 Mia Dollar
Kreditvolumen in der Türkei Ende 2010: Währungsbereinigt 375 Mia Dollar, davon 1/3 Privatkredite. (Quelle)


Laut Präsident der Handelskammer in Ankara musste im Jahre 2010 der durchschnittliche Familienhaushalt in der Türkei  rund 38% des Einkommens zur Bezahlung von Schulden verwenden.

Interessant ist jedoch die Entwicklung dieses Wertes: 2003 betrug er 7,5 %, 2006 waren es 27,5%, 2007 dann 31,1% , 2008 bereits 34 %, 2009 37,7%,  (Quelle Milliyet) Diese Problematik hat sich in den letzten beiden Jahren rasant verschärft.

Separat betrachtet haben alleine die Kleinkreditschulden in den vergangenen 2 Jahren um 45% zugenommen und betragen rund 30 Mia Dollar. Darunter wiederum befinden sich rund 4 Mia Dollar nicht mehr bediente Schulden.. Deswegen ist jetzt wieder ein Umschuldungsprogramm angesagt. Quelle 

Weiter anstehende Belastungen für die Privathaushalte

Die in den letzten Jahren durchgeführten Privatisierungen bringen es mit sich, dass nun die damals bezahlten Kosten und ein zusätzlicher Gewinn für beispielsweise Stromversorgung in Form von höheren Rechnungen  in die Privathaushalte flattern. Im Weiteren sorgen Lira-Abwertung um beinahe 20% im Laufe dieses Jahres dafür, dass importierte Produkte wie Treibstoff und Gas entsprechend teurer werden. Da der Grossteil der Güter auf der Strasse umgeschlagen wird, sind Preissteigerungen auf allen Produkten die Folge. Das heisst: Das Familienbudget im Bereiche Lebenshaltungskosten wird unverhältnismässig stärker belastet, was aber wegen der eh schon hohen Schuldenlast und den entsprechenden Amortisationen nur heissen kann, neue Schulden aufzunehmen. Ein Teufelskreis.

Wundertüte TOKI

Das verantwortliche Ministerium verweist auf seiner Internetseite auf inzwischen  516 000 gebaute Wohnungen. Zu einem grossen Teil kann das Ministerium für diese Riesenwohnbauprojekte auf Land des Staates zurückgreifen. Wenn man nun 500 000 Wohnungen, welche in den letzten 6 Jahren realisiert wurden, mit einem Verkaufspreis von durchschnittlich 60 000 TL veranschlagt, so wurden da rund 30 Mia TL erwirtschaftet, allerdings erst auf dem Papier, denn diese Beträge werden in Form von bis zu 120 Monatsraten abgestottert. In diesen Verträgen gibt es jedoch einen Stolperstein für Beamte. Ihre Raten werden nämlich halbjährlich an die Inflation gekoppelt und so sitzt heute mancher Wohnungsbesitzer, der während der letzten zwei Jahre brav seine Raten bezahlt hat, auf einer nominal höheren Schuld als bei Vertragsantritt. Eine klassische Schuldenfalle. 

Teure Mega-Projekte ohne Eigenleistung

Die neuen Mega-Projekte wie zweiter Bosporus-Kanal, eine neue Millionenstadt ausserhalb Istanbuls, AKW's etc. werden zwar vom Staate angerissen, doch umreisst er nur die Rahmenbedingungen, schreibt aus und "verkauft" meistbietend.

Ganz krass geschieht dies beim umstrittenen AKW-Projekt in Akkuyu. Auf die öffentliche Ausschreibung hat sich lediglich ein Konzern aus Russland gemeldet, welcher dieses Kraftwerk mit 4 Reaktoren zu bauen bereit war. Nachdem diese Ausschreibung gerichtlich als ungültig erklärt wurde, wählte die Regierung die Form eines Staatsvertrages mit der halbstaatlichen ROSATOM. Demzufolge verpflichtet sich die Türkei, während 15 Jahren 70% der Energie aus den Reaktoren 1+2  sowie 30% der Reaktoren 3+4 zum Preise von 12 Cent/KWh (Damit der teuerste Atomstrom weltweit)  zu übernehmen. Die Firma kann das AKW bis zum Ablauf der Lebenszeit betreiben und muss nach 15 Jahren vom jeweiligen Jahresgewinn 20% dem türkischen Staate überweisen. Quelle

Nun ist ja nicht davon auszugehen, dass der Staat diesen teuer eingekauften Strom den vor einem Jahr privatisierten Stromnetzbetreibern mit Rabatt verkauft und diese wollen auch noch etwas verdienen. So werden sich die Verbraucher letztlich auf massiv steigende Stromkosten einzustellen haben, dies dank  Atomstrom...

Die Zitrone ist ausgepresst

So wird deutlich, dass  die Privathaushalte mit ihrem Staate und dessen Begehrlichkeiten und verlockenden Angeboten, welche aber wieder nur zu neuen Schulden führen, erneut überfordert sind. Es braucht jetzt lediglich einen Windstoss, sprich generelle weltweite Absatzflaute oder weiterer Druck auf die TL, dann bricht die Wirtschaft nicht von oben nach unten weg wie 2001, sondern von unten nach oben. Kein Inlandkonsum wegen Teuerung, kein Wachstum, damit verbunden jede Menge Not leidende  auch staatliche Kredite, welche von irgendwem aufgefangen werden müssen, will man sie nicht in den Haushaltsbilanzen abschreiben. Das wäre dann das Horrorszenario und in den Auswirkungen  kein Unterschied mehr zu 2001.


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