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Aussenminister Ahmet Davutoğlu |
Mit einiger Besorgnis hat die Türkei
die Entwicklungen der vergangenen Wochen und Tage zur Kenntnis nehmen
müssen. Die Ereignisse in Syrien und die Rolle, welche die Türkei,
aber auch die internationale Gemeinschaft dabei spielt, zeigen auf,
dass die Türkei ihre Aussenpolitik im Nahen Osten neu
definieren muss, sofern es überhaupt noch was zu definieren gibt.
Die neue Nahostpolitik, die
intensiveren Beziehungen zu Russland, das Näherrücken an den Iran
als Alternative zur früheren Ausrichtung auf den EU-Raum ist ein
Produkt des jetzigen Aussenministers Davutoglu. Angefangen hat diese
Umorientierung mit verschiedenen Wirtschafts- und
Freizügigkeitsabkommen, deren Ziel es unter anderem war, die
Wirtschaftsbeziehungen zu vertiefen und das türkische
Wirtschaftswachstum zu fördern.
Der arabische Frühling brachte zudem
die verlockende Perspektive, in den neu gegründeten Regierungen die
Türkei als beispielhaftes Demokratiemodell eines islamischen Staates
darzustellen und damit eine Art Führungsrolle zu übernehmen. Nicht
wenige Politiker träumten bereits laut über eine Vorreiterrolle der
Türkei am Mittelmeerraum, auch wenn Befragungen in den betroffenen
Staaten Anderes zeigten: Ja, das Staatsmodell könnte Sinn machen,
aber die Türkei als Führungsmacht einer solchen Allianz stiess auf
Ablehnung.
Wenn man die heutige Situation
betrachtet, ist davon wenig übrig geblieben. Abgesehen von Lybien,
wo schon unter Gaddhafi viele türkische Firmen vor allem im
Bausektor tätig waren, hat sich eigentlich recht wenig getan. Mit
den neuen Machthabern wird zur Zeit über Bautätigkeiten gegen Erdöl
verhandelt, dies angesichts einer unsicheren Versorgungslage und
galoppierenden Rohstoffpreisen, welche in der Türkei selbst zu
Preiserhöhungen von 18% auf Erdgas und über 15% auf Treibstoff
geführt haben.
Wird Syrien zur diplomatischen
Sackgasse?
Heikel ist die derzeitige Situation in
Syrien. Früh hat die türkische Regierung signalisiert, dass sie die
Zeit des syrischen Regierungschefs Assad und ehemaligen Freundes der
Türkei als abgelaufen betrachtet. Dieser wiederum warf der
türkischen Regierung vor, im Grenzraum Rückzugsgebiete für die
Opposition zu schaffen, diese auch mit Waffen zu unterstützen und
die Koordination der Operationen der Oppositionellen von türkischem
Territorium aus zuzulassen.
Die Eskalation der letzten Tage, indem
von syrischer Seite aus sogar Flüchtlingslager in der Türkei unter
Beschuss gerieten, ist natürlich eine Provokation, welche in der
türkischen Öffentlichkeit nach einer militärischen Antwort ruft.
Diesbezüglich sind aber der Regierung die Hände gebunden, da eine
solche eigenmächtige Aktion im Annan-Plan nicht vorgesehen ist,
ganz abgesehen von den militärischen Risiken, welche die Türkei mit
einem Alleingang eingehen würde.
Seit Neustem sieht sich die türkische
Regierung auch mit russischen Forderungen zum Thema Syrien
konfrontiert. Russland liess verlauten, nicht nur Assad, auch die
Oppositionellen und „die sie unterstützenden Kräfte“ sollten
ihre Aktivitäten einstellen. Wer damit gemeint ist, muss nicht
weiter erläutert werden. Diese Warnung könnte sehr schnell mit
einer Drosselung von Erdöllieferungen untermauert werden, was für
die Türkei gravierende Folgen hätte, steckt man diesbezüglich doch
schon mit dem Iran in heiklen Verhandlungen. Andererseits ist ebenso
klar: Nachdem sich die Türkei seit Monaten unmissverständlich für
einen Rücktritt des Assad-Clans ausgesprochen hat, kann sie absolut
kein Interesse daran haben, dass er weiterhin im Amte bleibt, denn
das wäre eine schwere Belastung für künftige syrisch-türkische
Beziehungen. Es sind jedoch genau der Plan Annans und das Fehlen einer repräsentativen Opposition in Syrien, welche es Assad überhaupt möglich machen, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
Mit etlicher Verbitterung dürfte die
türkische Regierung konstatiert haben, dass die internationale
Gemeinschaft im Falle Syriens sehr langsam reagiert, dabei immer
wieder von einer entscheidenden Rolle der Türkei spricht. Dass es
jedoch mehr als ein Jahr braucht, um überhaupt via Ultimaten
Bedingungen zu stellen, das ist auch für orientalische Verhältnisse
sehr lange... und in dieser Zeit waren der Türkei die Hände
gebunden, positioniert gegen Assad und pro Opposition.
Genau dies wirft nun der Iran der
Türkei vor: Sie sei nicht ein autonom handelnder Staat, sondern
Handlanger des Westens oder imperialistischer Kräfte. In deren
Diensten beschränke sich die Rolle der türkischen Regierung auf das
„Ausführen von Befehlen“. Anlass zu dieser Kritik ist auch die
Installation des Nato-Radarschildes im Osten der Türkei. Solche
Äusserungen haben durchaus Wirkung in der arabischen Welt und
zwingen die Türkei erneut, Flagge zu zeigen. Allerdings sind die
Ansprechpartner weniger geworden.
Der Traum von der Vorreiterrolle im
östlichen Mittelmeer dürfte ausgeträumt sein.
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