In mehreren Beiträgen bin ich auf die
derzeitigen Schwierigkeiten in Cirali eingegangen. Dabei habe ich immer wieder auf
die generelle Problematik zum Thema Artenschutz in der Türkei
hingewiesen. Heute möchte ich dies an einem besonders krassen
Beispiel verdeutlichen. Es geht dabei um die Legestrände der Meeresschildkröten im südtürkischen Anamur. Das Thema lässt sich
nicht in einem Beitrag abhandeln, denn zugleich muss man über die
türkeiweit grösste Population der mediterranen Mönchsrobben
sprechen und auch die Zusammenhänge zwischen Schleppfischerei und
Delphinbeständen ist hier ein Thema.
Zusätzlich drängt sich die Frage auf, was eigentlich in der Türkei mit all den Geldern aus dem EU-Heranführungsfond passiert, welche für Natur- und Artenschutz eingesetzt werden sollten. Ausserdem ist im türkischen Gesetze vorgesehen, dass die lokalen Behörden für die Einhaltung der gesetzlichen Auflagen an diesen Stränden verantwortlich sind. In Tat und Wahrheit sind es jedoch Umweltorganisationen und private Gruppen, welche genau gegen diese Behörden wegen Sandklau an den Stränden, illegaler Nutzung und Vermietung, Festivals am Strand und mangelnder Sauberkeit etc. protestieren.
Anamur und die Meeresschildkröten
Noch vor 25 Jahren
war der 13 Kilometer lange Sand- und Kieselstrand Anamurs ein
weitestgehend unberührtes Stück Natur. Mit Beginn der 90-er Jahre
setzte im neu entstehenden Ortsteil Iskele eine rege Bautätigkeit
ein. Erste Hotels und vor allem Ferienwohnungen schossen wie Pilze
aus dem Boden. Sie alle befanden sich in einem Respektsabstand von 80
– 150 Metern vom Strand, sodass dieser in seiner ursprünglichen
Form erhalten blieb. Hunderte von
Meeresschildkröten nutzten ihn wie schon immer zur Eiablage. Eine erste Untersuchung aus
dem Jahre 1992 wies für Anamur 120-180 Meeresschildkröten aus.
Es ist nicht geklärt, wie und bezüglich welcher Strandabschnitte
diese Zahl zustande kam, ausserdem wurde die Untersuchung
offensichtlich nicht über den gesamten Zeitraum durchgeführt.
Trotzdem halten sich diese Zahlen hartnäckig im Behördennetz.
Wissenschaftliche Untersuchung
2006-2008 bringt Überraschung
Angeregt durch
eine Gruppe Interessierter löste der damalige Landrat von Anamur,
Ali Uslanmaz, im Jahre 2006 ein Projekt aus, in welchem der
Gelegebestand am gesamten Strande von Anamur durch Fachleute
erforscht werden sollte. Rund 25 Helfer und 4 Biologiestudenten unter
Leitung der Universität Mersin protokollierten alle Gelege und
erfassten auch die Schlüpfzahlen der jungen Schildkröten. Das
Ergebnis war überraschend: Trotz meteorologisch extremer
Verhältnisse wurden 641 Gelege bestimmt, aus denen rund 45 000 junge
Schildkröten ins Meer krabbelten..
Um wirklich harte
Zahlen zu kriegen, bedurfte es einer dreijährigen Beobachtung. Da
der Landrat abgelöst wurde und sein Nachfolger dieses Projekt nicht
weiter führen wollte, waren es 2007 Freiwillige aus Anamur und
Boyzayi, welche dazu beitrugen, dass diese Untersuchungen (ohne Hilfe
der öffentlichen Hand!) weiter geführt werden konnten.
Ende 2007 wurde
ein Verein gegründet, unter dessen Dach die 2008-Aktivitäten
abliefen. Dies war jedoch nur dank des grosszügigen Einsatzes der
Aktionsgemeinschaft Artenschutz e.V (AGA) aus Deutschland möglich.
Sie organisierten einen tollen Freiwilligeneinsatz und unterstützten
die Aktivitäten vor Ort mit einer Einmalspende von 6000 €, da
wiederum keinerlei materielle Unterstützung durch offizielle Stellen
erteilt wurde. Dies hatte gravierende Folgen für den Verein, dem
auch eine zugesagte Unterstützung von 6000 € durch den damaligen
Gemeindepräsidenten verweigert wurde, obwohl das Gemeindeparlament
diesen Betrag abgesegnet hatte.
Trotz
aller Hindernisse: Es konnten also an drei aufeinanderfolgenden
Jahren die Gelegebestände sowie die Schlüpfzahlen nach ders,
in der Türke gebräuchlichen Methode bestimmt werden. 641
Gelege 2006, über 900 Gelege 2007 und beinahe 808 Gelege im Jahre
2008. Kein Strand in der Türkei hat eine vergleichbar hohe
Gelegedichte von Karettschildkröten pro Kilometer wie Anamur.
Der
Biologe Askin Ucar schrieb auf der Basis dieser Untersuchungen seine
Doktorarbeit.
Freiwilligenarbeit
und zugleich Projektfinanzierung ? - Nein !!
Sämtliche
Bemühungen, erneut gut abgestützte Schutzprojekte durchzuführen
scheiterten an nicht nachvollziehbaren Auflagen der Provinzbehörden
und der türkischen Universitäten oder Professoren, welche zwingend
als „Aufsichtsbehörden“ in diese Schutzprojekte eingebunden
werden mussten, sein wollten. Im Jahre 2009 hätte alleine das Lohnpolster der
Projektleiterin Uni Mersin, ihrer zwei Assistenten (welche im Monat 1
mal nach Anamur gekommen wären - im Gegensatz zur Leiterin, welche
das alles aus Mersin gemanagt hätte) eines Koordinators vor Ort und
drei oder vier Biologiestudenten letztes Semester, für die
viermonatige Saison über 25 000 € betragen. Weitere
Zusatzkosten von rund 12 000 € für Versicherung, Bereitstellung
Unterkunft und Verpflegung sowie Wegentschädigungen nicht mitgerechnet. Das alles, um
eine Reihenuntersuchung durchzuführen, welche aber noch keine
einzige Meeresschildkröte wirklich schützt. Dies wäre dann Sache
des Vereins und der „unter Anleitung“ der Universität
arbeitenden Freiwilligen, grösstenteils selbst Biologen in
Ausbildung, aus Deutschland erfolgt.
Der
Staat selbst hat betont, er werde sich an diesem Projekt finanziell
nicht beteiligen und es sei Sache des Vereins, mit den aus Europa
kommenden Freiwilligen ein Finanzierungsmodell zu entwickeln, welches
letztlich die Gesamtkosten regeneriere, ausserdem könne man
Sponsoren finden. Im Klartext: Freiwillige finanzieren eigenen Flug,
Unterkunft, Verpflegung und bezahlen darüber hinaus die Löhne ihrer
türkischen Kollegen am Strand. Dies alles, um ohne jegliches Entgelt
am Strande zu jeder Tages- und Nachtzeit Meeresschildkröten schützen zu "dürfen"..
Angesichts
weiterer rigoroser Auflagen der Provinzbehörden (Verein muss
Ergebnisse in gedruckter Form publizieren, öffentliche Äusserungen
zum Projekt nur in Absprache mit der Provinzbehörde, welche
letztlich als federführend zu bezeichnen ist usw.) wurde auf eine
Fortsetzung des Projektes verzichtet. Unter dem Aspekt: "Wer zahlt-befiehlt", hätte man das akzeptieren können. Da jedoch klar jede finanzielle Unterstützung verweigert wurde, war ein Weitermachen zu diesen Konditione sinnlos.
2 Personen „schützen“ 12,3
Kilometer Legestrand.
Seit
2009 besteht „Schutz von Meeresschildkröten in Anamur“ darin,
dass ein Beamter der nationalen Parkverwaltung für „den Schutz“
der Meeresschildkröten am 12,3 Kilometer langen Strand abgestellt
ist. Unterstützt wird er von einer Freiwilligen aus der Vereinszeit,
welche jeden morgen einen über 4 Kilometer langen Strandabschnitt
überprüft. Resultat dieser übermenschlichen Anstrengungen ist,
dass auf den Gelegen Drahtkäfige stehen, der Beamte monatlich die
neusten Zahlen nach Mersin schickt und Ende der Saison eine
Zusammenfassung erfolgt – welche nirgendwo publiziert wird! Im
gesamten offiziellen Behördennetz finden sich keinerlei Angaben zu
den bedeutenden Meeresschildkrötenvorkommen von Anamur, auch nicht
bei der Nationalen Parkverwaltung. Nein, einzig Angaben aus dem Jahre
1992...., aber weder Statistiken aus den Jahren 2006-2012 noch
entsprechende Berichte bezüglich der Bedeutung der Strände von
Anamur. Wie anders klingt das doch in Dalyan (220 Gelege), Patara (80
-120 Gelege), Cirali (ca. 80 Gelege). Fazit, selbst renommierte türkische Professoren widersprechen zuerst mal vehement, wenn man von 800 bis 1000 Gelegen in Anamur spricht..
Diese
Papierübung namens Schutz ist letztlich lächerlich, denn in Tat und Wahrheit
werden Gelege markiert, was lobenswert ist, die Tiere jedoch sich
selbst überlassen. Schutz sähe anders aus. Die erschreckende
Realität 2012 an den Legestränden Anamurs wird Thema des nächsten
Beitrages sein.
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