Ein erstmals von der Bertelsmann-Stiftung durchgeführter Vergleich der Schulsysteme in den verschiedenen Bundesländern bringt das an den Tag, was Lehrkräfte und wohl auch Eltern schon längst wissen: Es bestehen eklatante Unterschiede im Bildungssystem der einzelnen Bundesländer, was unmittelbare Auswirkungen auf die Zukunftschancen der Auszubildenden hat. Die Ergebnisse sind im Einzelnen recht krass, in der Summe stimmen sie nachdenklich. Dazu kommt, dass sich dieselbe Problematik im Deutsch sprachigen Raume auch in der Schweiz stellt, nicht aber in Oesterreich, dazu mehr später.
Der Luxus Bildungsföderalismus ist kontraproduktiv
Sowohl in der Schweiz wie in Deutschland liegt die Schulhoheit bei den Kantonen, respektive den Bundesländern. In der Schweiz mag dies auf Grund der Vielsprachigkeit in einem bestimmten Sinne noch plausibel erscheinen. Trotzdem ist es nicht nachvollziehbar, dass ein Land mit weniger als 8 Mio Einwohnern 26 Bildungsdirektionen mit entsprechendem Mitarbeiterstab, Lehrmittelkommission etc. etc. beschäftig, Schulplanung betreibt und erst in den letzten Jahren ein wenigstens halbwegs koordiniertes Vorgehen nach Sprachräumen statt findet. Weiterhin bestehen jedoch zwischen den Kantonen eklatante Unterschiede im Bildungssystem, genauso in den Anstellungsbedingungen für Lehrkräfte.
Ähnlich ist die Situation in Deutschland. Bis heute sind es die Länder, welche Schulmodelle entwerfen, testen, einführen. Dies führt dann immer wieder zu Konflikten für Eltern und Schüler, welche in ein anderes Bundesland ziehen. Es ist aber vor allem ein enormer Verschleiss an Energie für alle in der Schule Tätigen, da Bildung mit schöner Regelmässigkeit ein Steckenpferd von Landespolitikern wird. Viel gravierender ist jedoch die Tatsache, dass eigentlich seit den 60-er Jahren mehr oder weniger föderal an einem Schulsystem herumgeflickt wird, in welchem die Bundesländer sehr unterschiedliche Akzente setzen konnten. Dabei stand und steht Organisation im Vordergrund und Innovation blieb auf der Strecke. Eindrücklich nachzulesen im Versuch, das Bildungssystem Deutschland auf Wikipedia zu erklären... Milliarden sind hier auf Länderebene in "Reformen" geflossen, von denen heute angesichts international eher mässiger Leistungswerte der Schüler niemand mehr spricht... Verpufft.
Im Grunde genommen hat sich an der ganzen Misere in den letzten 40 Jahren sehr wenig geändert. Glaubte man damals, mit früher Selektion und Leistungsklassen erfolgreich zu sein, so spricht man heute über Durchlässigkeit (welche vielfach noch immer nicht gewährleistet ist), scheitert an Gesamtschulmodellen, weil man schlichtweg unterlassen hat, den damit verbundenen Betreuungsaufwand und veränderte räumliche Bedürfnisse einzuplanen. Es reicht nicht, zu verordnen: "Wir machen jetzt Gesamtschule" und dies mit der alten Infrastruktur.
Bildungshoheit beim Staat bringt Kostenersparnis!
Schluss mit diesem Föderalismus! Es muss doch im Zeitalter der Mobilität möglich sein, dass gerade im Bereiche Bildung in einem Lande einheitliche und verlässliche Rahmenbedingungen herrschen. Genau so wenig macht es Sinn, wenn Bundesländer oder deutsch sprachige Kantone in Eigenregie eigene Lehrmittel entwickeln, in eigenen Fachhohchschulen neue Konzepte entwickeln und im Kanton oder Bundesland einzuführen versuchen. Dies muss doch zentral geschehen, auch wenn dabei mehrere tausend Arbeitsplätze verloren gehen, viele selbst errichtete Gartenzäune entfernt werden. Denn, machen wir uns nichts vor: Es ist genau dieser Föderalismus, welcher entscheidend dazu beiträgt, dass Schule nicht vorankommt und wir neidvoll nach Finnland oder Norwegen schauen. Schauen wir uns Finnland an, wieder auf Wikipedia. Ach, wie herrlich einfach und griffig!
Das alles geht nicht von einem Tag zum andern über die Bühne, denn inzwischen ist durch diese Spezialisierung der Lehrkräfte und Lehrbefugnisse ein Zustand eingetreten, der das, was wir im Modell Finnland vorgesetzt kriegen, rein personell gar nicht mehr umsetzen lässt.
Ein erster Schritt in diese Richtung könnte das sein, was Oesterreich schon praktiziert. Schule ist durch den Bund und nicht durch die Länder definiert. Ohne Wenn und Aber. Das ist eine absolute Voraussetzung, um wirkliche Reformen Flächen deckend und einheitlich überhaupt umsetzen zu können.
Thema Lehrkräfte
Solche Planungen stehen und fallen letztlich mit dem Faktor Lehrkräfte. Sind sie in der Lage, die neuen Herausforderungen zu bewältigen, kriegten sie das nötige Rüstzeug in den Fachhochschulen usw. Auch hier ist der Staat gefragt: Es ist nicht einzusehen, weshalb permanent Lehrkräfte in Fachkommissionen ihre Berufsbilder neu definieren und, wie die letzten 20 Jahre gezeigt haben, auf immer mehr Berufssegmente aufteilen, um sich nachher darüber zu beklagen, dass Teamwork, Unterrichtsplanung, Schul- und Lehrerkultur entwickeln etc. immer mehr Zeit beanspruchen und diese zum Unterrichten fehle...
Der Staat soll definieren, was für Lehrkräfte er benötigt, die entsprechenden Ausbildungsprogramme aus dem Boden stampfen und für attraktive und im ganzen Lande gültige Arbeitsbedingungen sorgen. Wer sich unter solchen Voraussetzungen für diesen Beruf entscheidet, weiss auch, was ihn in der Praxis erwartet. Erst wenn diese erfüllt sind, können die wirklichen Reformen angegangen werden. Dann klingt Schule plötzlich wieder einfach, griffig, attraktiv. Ich zitiere aus Wikipedia Beispiel Finnland:
Seit 1999 wird die Gesamtschule nicht mehr in sechs Unter- und drei Oberstufenklassen eingeteilt. Stattdessen wird in den ersten sechs Jahren der Unterricht von Klassenlehrern geleitet (etwa 3000 Schulen), in den letzten drei Jahren von Fachlehrern (etwa 600 Schulen). Es gibt verbindliche Bildungsziele und Bewertungskriterien, die vom Finnish National Board of Education festgelegt werden. Die Gemeinden und Schulen erstellen auf dieser Grundlage dann einen Lehrplan. Lehrer haben die Freiheit, eigene Lehrmaterialien einzusetzen und den Unterricht nach ihren eigenen Lehrmethoden zu gestalten. Es gibt keine Bewertung in Form von Noten von der ersten bis vierten Klasse. Ab der fünften darf benotet werden, erst ab der siebten müssen Noten vergeben werden. Mindestens einmal im Jahr erhält jeder Schüler einen Bericht. Eine bestandene Abschlussprüfung der Gesamtschule ist die Voraussetzung für jegliche weitergehende Bildung[7]. Nach neun Jahren kann fakultativ ein 10. Schuljahr besucht werden. Großer Wert wird auf Fremdsprachen und Sonderunterricht gelegt.
Nach dem Ende der Schulpflicht bestehen im Wesentlichen zwei Bildungswege. Übergänge in beide Richtungen sind dabei möglich. Quelle wikipedia
Dieses Modell klingt für unsere Pädagogenohren in Mitteleuropa wie eine Botschaft von einem andern Stern. Vor allem: Es ist soo gegensätzlich zu dem, was wir hier praktizieren. DAS meinte ich mit: Schule hat sich bei uns nicht weiterentwickelt. Bevor dieses Gesamtschulmodell, wie schon oft, in der Luft zerrissen wird, sollten sich Kritiker fragen, WORUM es ihnen nun geht: Um den eigenen Arbeitsplatz? Um Bewahren des Status QUO? Um Prestige? Um die Kinder, welche ein Recht auf Chancegleichheit in der Ausbildung haben?
Tatsache ist: Die wichtigsten Kritikpunkte in meinem Dossier Schule sind hier seit über 10 Jahren umgesetzt und dies offensichtlich mit messbarem Erfolg.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen