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Cirali und Artenschutz in der Türkei


Nachdem in Cirali die ersten vier Pensionen abgebrochen wurden, stellt sich die Frage, was in den kommenden Monaten mit den restlichen über 100 Betrieben geschieht, welche gemäss erlassener Verfügung ebenfalls geleert und abgebrochen werden müssten.

Die Tatsache, dass der Ausgangspunkt des neuen Streites in Cirali die Vermietung eines 18 000 m2 grossen Geländes direkt am Legestrand zu touristischen Zwecken war, wirft die Frage auf, inwiefern die verantwortlichen Behörden überhaupt noch an einem echten Artenschutz interessiert sind, oder aber sich darauf verlegt haben, Meeresschildkröten als Werbemittel einzusetzen, während man gleichzeitig die Lebensgrundlage dieser Tier, die Legestrände, zerstört. Diese Unterstellung lässt sich begründen.

In der Nähe von Izmir wurde kürzlich der 22. „wichtige“ Legestrand der Türkei deklariert und gefeiert. Es gibt keinerlei Angaben, wie stark dieser sehr weit nördlich gelegene Strand von Meeresschildkröten frequentiert ist, dafür meldet sich das Organisationskomitee Expo 2020, welches diese Entwicklung begrüsst, da man dank dieses Strandes einen zusätzlichen Positivposten ins Bewerbungsdossier erhalte..

Währenddessen wartet der Legestrand in Anamur mit der türkeiweit höchsten Legedichte und jährlich über 800 Gelegen weiterhin auf ein tragfähiges Schutzkonzept, in welchem Staat und Behörden Verantwortung übernehmen.
Dies wäre von grösster Bedeutung, da die Legestrände durch Vermietung und Umnutzung verloren zu gehen drohen. Dies scheint jedoch niemanden weiter zu kümmern und so schreitet die Zerstückelung voran. 
Je länger man in solchen Gebieten mit der Umsetzung der Artenschutzbestimmungen wartet, desto schwieriger wird es, diese eines Tages wirklich anzuwenden, da sich viele (nicht legale) Nutzniesser dieser Strände auf ein Gewohnheitsrecht zu berufen versuchen. Auch das eine Lehre aus Cirali.

Cirali: Artenschutz durch die Natur - ein Glücksfall

Wer schon in diesem Ort Urlaub gemacht hat erinnert sich bestimmt an den Moment, als er/sie erstmals etwas ins Meer rausgeschwommen ist und dann zum Strand geblickt hat: Kein Haus, keine Pension, nur ein Dünenwald, der sich wie ein grosser Vorhang hinter dem Strand entfaltet. Hinter dieser Düne gibt es eine Strasse und dahinter liegen die ein- bis zweigeschossigen Pensionen. Auch nachts ergeben sich durch diese Pensionen keinerlei störende Lichteinflüsse am Legestrand. Ich spreche nun nicht von den Anlagen, welche in den letzten Jahren unterhalb der Strasse zum Meer hin errichtet wurden, sondern von all den Betrieben, welche im ursprünglichen Konzept realisiert wurden.

Es sind also die Natur und mit derselben verantwortungsvoll umgehende Menschen, welche in dieser Umgebung ein sanftes Tourismuskonzept  inklusive Artenschutz umgesetzt haben und bis heute aktiv Artenschutz betreiben. Dass in diesem Konzept grosse, mehrstöckige Hotels fehlen, versteht sich von selbst. Gezeigt hat sich, dass sowohl für Menschen, wie auch für die gefährdeteten Meeresschildkröten eine Win-Win-Situation entstanden ist.


Win-Win Situation für Artenschutz und Tourismus

Hierher kommende Touristen akzeptieren die Einschränkungen am Strand (Sperre von 22 Uhr bis 6 Uhr), denn sie wollen ja zum Schutze dieser Tiere beitragen, mit etwas Glück sogar welche sehen und sicherlich dabei sein, wenn die jungen Karettschildkröten schlüpfen. Ebenso akzeptieren sie, dass Wassersport am Strande nicht stattfindet, lärmige Discos und Lasershows fehlen etc. Hierher kommende Touristen wollen Ruhe, Natur und kleine Pensionen. Das passt, weshalb sich Cirali einer breiten Stammkundschaft erfreut.

Die einheimische Bevölkerung wiederum erkennt, dass die Meeresschildkröten für Cirali der wichtigste Tourismus-Magnet sind und gutes Geld einbringen. Es lohnt sich also, diese zu schützen. Davon wiederum profitieren die Meeresschildkröten, welche hier über Jahrzehnte unveränderte Legestrände vorfinden und das ist entscheidend, denn: Nachdem die jungen Schildkröten geschlüpft sind, werden sie erst nach 20 Jahren mit Geschlechtsreife erstmals an den Strand zurückkehren und zwar genau an den Strandabschnitt, an welchem sie geboren sind. Artenschutz bedeutet also in erster Linie Strandschutz.

Was sagt uns das alles? In Cirali hat sich über die Jahre ein langsam und symbiotisch gewachsenenes Tourismus- und Artenschutzkonzept etabliert, an welchem es eigentlich nichts zu ändern gäbe, abgesehen von einigen Auswüchsen, welche korrigiert werden sollten. Es handelt sich hier um einen absoluten Glücksfall in jeder Hinsicht. Artenschutz und Tourismus passen.


Legal und offiziell verhandelt und jetzt ist alles illegal?

Diese ersten Abbrüche mit der Begründung, die Bauten seien illegal (wie die meisten andern auch) werfen viele Fragen auf. Im Zentrum das folgende Thema: Wie kommt es, dass WWF, Delegationen des Dorfes, Tourismus- Umwelt- und Waldministerium von 1999 bis 2007 einen Tourismusplan entwickeln, der auch den Artenschutz mit einbezieht? Umgesetzt wurde er jedoch nie. Stattdessen werden nun die Standorte der meisten Tourismusbetriebe als illegal erklärt...Was damals also noch legal war, ist inzwischen illegal. Da besteht Erklärungsbedarf.

Ein Eingriff in diese Infrastruktur stellt alles in Frage, insbesondere die Rechte der hier ansässigen Bevölkerung, dann aber auch den Schutz der Meeresschildkröten, den 3,2 Kilometer langen Legestrand. Dass dessen Wert von den Planern nicht sehr hoch eingeschätzt wird, zeigt die Tatsache, dass das umstritten Sport- und Freizeitgelände direkt in Strandnähe zu liegen gekommen wäre. Ganz anders sehen dies internationale Organisationen, welche das Konzept Cirali mehrfach ausgezeichnet haben.

Für Liebhaber des „kleinen Tourismus“, in welchem Natur, Umwelt und Tiere im Vordergrund stehen, ist Cirali in dieser Hinsicht ein Paradies. In Europa ist es gerade dieses Tourismussegment mit hoher Wertschöpfung, welches neben dem Kreuzfahrttourismus am stärksten wächst. So gesehen ist Cirali eine optimale Destination und liegt im Trend. Die türkischen Tourismusplaner müssten also allergrösstes Interesse haben, Dutzende von Ciralis anbieten zu können. 



Kommentare

  1. alles korrupte arschlöcher die nur interesse am geld haben ...!!!!

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  2. Jedes Ding hat zwei Seiten und ich nehme an, Ihre Kritik richtet sich an die Behörden. Ehrlicherweise müsste man jedoch auch sagen, dass zu viele Pensionsneubauten der letzten 10 Jahre nach denselben Überlegungen auf ungezonten Grundstücken geplant und realisiert wurden, obwohl man wusste, dass diese mit grosser Wahrscheinlichkeit eines Tages geschliffen würden.

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  3. Wo liegen eigentlich die 4 Häuser, die bisher abgerissen wurden, und wo die 100 anderen mit Abbruchbescheid? Bliebe da überhaupt noch etwas von Cirali über?
    Wir waren schon dort und haben die Ruhe und die freundliche Bevölkerung sehr genossen. Und wir wollen nach diesen Meldungen im September wieder hinfahren. Ich glaube, die Leute dort brauchen jetzt die Urlauber. Aber was wird uns dann erwarten? Ruinen?

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  4. ...hier noch einige Informationen....

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  5. Zu Beginn der kommenden Woche wird ein weiterer Beitrag zur Gesamtsituation erscheinen.

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  6. Ich habe Cirali bereits 1986 kennen gelernt und habe die Entwicklung seitdem verfolgt. Von damals 2 oder 3 Pensionen (u.a. Ahmet Kütle) bis zur Gegenwart hat sich das Angebot auf weit über 150 ausgeweitet. Erstaunlicherweise muss ich Walter Recht geben, dass sich im Großen und Ganzen das Gesamtbild nur unwesentlich negativ verändert hat, da legal oder illegal der Gedanke der Naturerhaltung immer berücksichtigt wurde.
    Die Vermutung der Einheimischen wie der türkeikundigen regelmäßigen Besucher aus dem Ausland geht dahin, dass auf diese Weise (möglichst viele Pensionen abzureißen) lauernden Großinvestoren der nötige Platz verschafft wird,um Tourismusburgen zu schaffen und um dann damit das endgültige Ende des Naturparadieses einzuläuten. Einheimische behaupten, von bereits bestehenden Verträgen zu wissen.
    Hoffentlich bleibt der nationale und internationale Widerstand ungebrochen.
    Reinhard (der schon über 30 Mal in Cirali war)

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