Eine Momentaufnahme:
Wir sehen uns heute mit der Situation
konfrontiert, dass unsere Gesellschaft in jeglicher Hinsicht heterogener
geworden ist, seit mehr als dreissig Jahren durch Menschen aus verschiedensten
Kulturkreisen und entsprechenden Lebensformen geprägt ist. Da haben wir Ein-
oder Zweikindfamilien deutscher Abstammung genau so wie 4- oder 5-Kindfamilien
von Zuwanderern aus der Türkei, dem Balkan, welche neben der grösseren
Kinderzahl oft auch ihre Lebensformen mitimportiert haben. Das kann eine
Bereicherung oder eine Belastung sein, je nach Standpunkt und der Fähigkeit der
Schule, diese Verschiedenartigkeit aufzufangen.
Wir alle kennen Kinder, welche eine
intensive Frühförderung von Seiten der Eltern erlebt haben
und sehen daneben
Familien oder allein erziehende Elternteile, deren grösste Sorge neben diversen
privaten Problemen darin besteht, die Kinder täglich ausreichend zu versorgen,
die Familie auf den Beinen zu halten, zu überleben. Das wird sich in dem Sinne
fortsetzen, dass die früh Geförderten auch während ihrer Schulzeit mit
starker Unterstützung von zu Hause
rechnen können, während andere während der gesamten Schulzeit wegen
sprachlicher Handicaps oder familiär schwieriger Rahmenbedingungen, aber auch
Interesselosigkeit der Eltern stärker sich selbst überlassen sind.
Mehrsprachigkeit zum Zeitpunkt der
Einschulung ist für viele Kinder aus andern Kulturkreisen Privileg und Handicap
zugleich. Zwar sprechen sie ihre Vater- oder Muttersprache oft ziemlich
fliessend, doch nützt sie ihnen im neu beginnenden Schulalltag relativ wenig.
Die Deutschkenntnisse vieler dieser Kinder sind zum Zeitpunkt des
Schuleintritts eher rudimentär, lassen es kaum zu, dem Unterricht überhaupt zu folgen.
Schon früh sind Kinder heute mit
elektronischen Medien wie Handys (welche in sich schon kleine Playstations,
Fotoapparate und internettaugliche Stationen sind) vertraut, was zu einem sehr
intensiven Gebrauch führt. Daneben stehen in den meisten Haushalten Computer
und Playstations. Je nach Umgang mit all diesen Technologien können wir Kinder
erleben, welche schon erstaunlich selbstständig sind und sich in dieser Welt
gut zurechtfinden. Anderen wiederum dienen diese technischen Errungenschaften
als Zeittotschläger. Das heisst, sie verbringen den grössten Teil ihrer
Freizeit in einer unwirklichen Umgebung und holen sich ihre Bestätigung durch
neue Rekorde und virtuelle Freunde.
Es ist deswegen kein Wunder, dass heute
gerade bei Einschulungstests viele Kinder mit grossen Bewegungsdefiziten,
mangelhaftem Wortschatz, auffälliger Überaktivität, aber gleichzeitig
Konzentrationsstörungen in einfachen Belangen auffallen. Ja, sie sind geprägt .
Die einen so, andere so und manche wieder ganz anders. DAS Kind gab es nie und
gibt es heute erst recht nicht.
Eine weitere Gruppe beginnt die
schulische Laufbahn bereits mit einer gut gefüllten Freizeitangenda. Sport,
Musik, Ballet, Jugendgruppe sind bereits bestehende Grössen, welche es nun um
den Schulalltag herum einzubauen gilt.
Es darf nicht unterschätzt werden, dass
die Unterschiede, mit denen heute die Kinder zu Schulbeginn „übernommen“
werden, in vielfacher Hinsicht enorm sind. Es wäre zu einfach, dies mit Verweis
auf verschiedenen Ethnien zu erklären. Nein: Auch wenn wir Schule auf Schweizer
oder Deutsche reduzieren, kriegen wir im Spiegel vorgesetzt, dass es „unsere
Gesellschaft“ nicht mehr gibt und die Folgen des gesellschaftlichen
Auseinanderdriftens bedeutend krasser zu sehen sind als noch vor 40 Jahren.
In dieser Situation mit dem Begriff Chancengleichheit die schulische
Laufbahn zu starten, wirkt geradezu sarkastisch, da werden alle Lehrkräfte
derselben Meinung sein. Nein, mit Schulbeginn erfolgt eine Nivellierung der
Ziele auf das Machbare, eine andere
Möglichkeit lässt das derzeitige Schulsystem gar nicht zu. Das Machbare ist
definiert über den Lehrplan. Schulform und -struktur sind von dieser Diskussion
weitgehend ausgenommen, obwohl gerade hier ein gewaltiges Potential schlummert.
Diese Ziele sind für 1/4 der Klasse eine Überforderung, etwa 1/4 dürfte
unterfordert sein und der Rest fühlt sich ausgelastet. So entsteht die
Situation, dass rund 50% der Klasse ihre Chancen nicht optimal nutzen können,
was dann wiederum zu diversen disziplinarischen und führungsspezifischen
Problemen im Klassenzimmer und weit darüber hinaus führt.
Die Voraussetzungen für wirkliche
Chancengleichheit zu schaffen, ist meiner Auffassung nach die zentrale
Herausforderung für die Schule. Bereitstellung von Rahmenbedingungen, welche
Unterricht und qualitativ gutes Lernen
für alle ermöglichen, auch diejenigen, welche von zu Hause keine
Unterstützung erwarten können. Damit erst erfolgt eine erste Annäherung an den
Begriff Chancengleichheit. Unter diesem Blickwinkel scheinen fundamentale
Veränderungen des heutigen Schulsystems unabdingbar und unter diese Maxime stelle ich die folgenden Kapitel.
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