Die Verhaftung des Journalisten Deniz Yücel wirft hohe Wellen und polarisiert. Meinungen von "Terrorist, hat das verdient" bis "Geisel des Diktators" füllen die Tweets und Kommentarspalten. Es geht in diesem Beitrag NICHT um eine Wertung der journalistischen Arbeit oder des Rechtsverständnisses von Erdogan, sondern um die Begleitumstände, welche letztlich zu dieser Verhaftung geführt haben.
Was man finden kann, wenn man will: Quelle vollständig
Noch detaillierter wurde der Sachverhalt hier beschrieben - und es bleibt ein mulmiges Gefühl zurück.
Zur rechtlichen Situation Yücels:
- Doppelpass-Besitzer und nicht akkreditierter Journalist in Istanbul
- Jeder Resident in der Türkei weiß: Auch wenn ich im Besitze des Doppelpasses bin, gilt für mich bei Rechtsfragen oder Vergehen in der Türkei ausschließlich türkisches Recht.
- Auch die Konsulate machen Residenten, welche beispielsweise den türkischen Pass erwerben und ihren Heimatpass behalten möchten, darauf aufmerksam, dass bei Rechtsfragen, Untersuchungshaft etc, so gut wie keine Möglichkeit der konsularischen Intervention besteht, da der Betroffene als türkischer Bürger behandelt werde.
Es ist also davon auszugehen, dass alle Beteiligten im Falle Yücel und er selbst diesen Sachverhalt bestens kannten.
Ab 25. Dezember im deutschen Konsulat unter Schutz?
Macht Sinn, denn er ist ja auch deutscher Staatsbürger und ist dort, aber nur dort vor Inhaftierung geschützt. Allerdings kann er nicht ausreisen. Irgendwas hat ihn letztlich bewogen, sich am 14.02.2017 auf einer Polizeistation in Istanbul zu stellen, was in allen deutschsprachigen Medien groß verkündet wurde. Der Mainstream: Yücel hat sich freiwillig gestellt.
Mehrere Medien bemängeln, dass es auf Anfragen zum Aufenthalt Yücels ab Dezember von Seiten des Auswärtigen Amtes oder des Konsulates keinerlei Auskünfte gab.
Merkels Besuch anfangs Februar
Am 02. Februar 2017 stattet Angela Merkel einen Tag vor dem Malta-Gipfel der Türkei ziemlich überraschend einen Arbeitsbesuch ab. Hierzu ein längerer Bericht von Telepolis, aus dem hervor geht, dass da viel gefeilscht wurde. Sicherlich auch um das Ausreiseverbot für den Deutschen Sharo Garip und ganz sicherlich über den Haftbefehl vom Dezember für den Welt-Journalisten Deniz Yücel...
WAS kann nun einen Doppelpassbürger dazu bewegen, die sichere Unterkunft im Konsulat aufzugeben, wissend, dass er mit diesem Schritt nach türkischem Recht auf keinerlei Unterstützung aus Deutschland rechnen kann? Falls doch, wäre dies eine großzügige Geste der Türkei, zu welcher sie nicht verpflichtet ist. WAS treibt ein Konsulat an, dauernd über "intensive Bemühungen" zu sprechen, wenn von allem Anfang an klar ist, dass in diesem Falle kein Recht auf konsularischen Beistand besteht?
Auswärtiges Amt und Merkel schweigen zu Erdogans Anschuldigungen
Man regt sich auf über den Terrorismusvorwurf - zu Recht. Das ist aber nichts Neues. Der wirkliche Aufreger sind die konkreten Aussagen Erdogans zur Feilscherei um Deniz Yücel. Die eingeblendete Übersetzung ist korrekt und wirft viele Fragen auf. Hier der Filmausschnitt:
Die Frage, ob Yücel strafbare Handlungen begangen hat, muss hier nicht beantwortet werden. Nach unserem Rechtsverständnis ist das journalistische Arbeit. Der Sprengstoff liegt in den konkreten Aussagen Erdogans zur Rolle des Konsulats, zur Aufenthaltsdauer Yücels auf Konsulatsgelände und zu stattgefundenen Gesprächen mit der Kanzlerin.
Darauf gibt es bis heute weder von Merkel noch vom Auswärtigen Amt eine Reaktion. Also nochmals:
- Befand sich Yücel ab Ende Dezember während ca. einem Monat auf Konsulargelände, um sich dem Zugriff der Polizei zu entziehen? Erdogan sagt ja.
- Gab es Gespräche zwischen Erdogan und Merkel bezüglich dieses Problems. Erdogan sagt ja.
- Worauf wir keine Antwort kriegen: WAS wurde da ausgehandelt? So wie es ausschaut ein ganz schlechter Deal..
Zwei Schlüsse: Verrückt oder ein fauler Deal
- Yücel müsste verrückt sein, sich ohne konkrete Zusagen freiwillig in diese ziemlich hoffnungslose Situation zu begeben und dies mit einer Perspektive von mehreren Monaten, wenn nicht Jahren Untersuchungshaft, . Nur des Märtyriums wegen? Unvorstellbar.
- Das AA und Konsulat haben auf türkischen Druck irgendeinen Deal geschlossen, an den sich Erdogan aber nicht zwingend halten muss. Er nimmt sich jemanden als Geisel oder hat Yücel mit anderen politischen Drohungen aus dem Konsulatsgelände rausgepresst. Nach dem Motto: Du gibst mir DAS und ich dir DAS.
Egal, welche Variante zum Tragen kommt: Faustpfand Erdogans für politische Erpressungsspiele.
Weitere Möglichkeiten? Auswärtiges Amt / Frau Kanzlerin?
Soll das ausgesessen werden? Ein Bauernopfer im höheren Interesse? Yücel verfeuern?
Kommentare
Kommentar veröffentlichen